Geschlechtersensible Berufsorientierung

Geschlechtersensible Berufsorientierung fängt in der Arbeit mit jungen Menschen an und muss auch die Lehrer/innen in den Schulen, die Berufsberater/innen der Bundesagentur für Arbeit und weitere für den Berufswahlprozess relevante Akteure erreichen bzw. miteinbeziehen.

Interview mit Michael Cremers, Mitarbeiter der Koordinationsstelle ‚Männer in Kitas‘ zum Thema "Berufsorientierung"

Herr Cremers, was sollte ein Kita-Träger, der den Anteil seiner männlichen Fachkräfte erhöhen möchte, bei Aktionen der „Berufsorientierung“ berücksichtigen?

Die Berufswahl ist auch im 21. Jahrhundert nicht unabhängig von stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Jugendliche und Heranwachsende, ob nun männlich oder weiblich, wählen in der Regel – aus der Vielzahl beruflicher Möglichkeiten – nur jene Berufe, die mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit und entsprechenden Erwartungen daran zu korrespondieren scheinen. In der Fachwelt sprechen wir in dieser Hinsicht von einer „Selektionsfunktion“. Das heißt, ich selektiere diejenigen Berufe, die scheinbar nicht meiner Geschlechtszugehörigkeit entsprechen. Außerdem möchten junge Menschen mit ihrer Berufswahl in ihrem Nahumfeld, bei Freund/innen und Familienmitgliedern, auf positive Reaktionen stoßen. Hier spricht die Fachwelt von der „Selbstdarstellungsfunktion“. Damit ist gemeint, dass die Wahl des Berufs auch in der Hinsicht stimmen muss, dass sich der/die Heranwachsende damit selbst darstellen kann. Berufe, die gegengeschlechtlich konnotiert sind, werden als berufliche Optionen meist ohne genauere Informationen und Kenntnisse von vornherein ausgeschlossen, in der Regel aber spätestens dann, wenn das nahe Umfeld kritisch oder sogar negativ reagiert.

Entsprechend benötigen Jugendliche und junge Erwachsene für ihre Zukunftsgestaltung erstens mehr Informationen über und mehr Erfahrungen in Berufsfeldern, die gegengeschlechtlich konnotiert sind. Zweitens bedarf es einer geschlechtersensiblen Begleitung, die Handlungsalternativen jenseits einengender Geschlechtervorstellungen eröffnet bzw. die eigenen Berufsvorstellungen auch bei gegengeschlechtlichen Konnotationen des angestrebten Berufs(felds) stärkt.

Die vielfältigen Erfahrungen, die in dem vorliegenden Newsletter von den Mitarbeitenden der ESF-Modellprojekte ‚MEHR Männer in Kitas‘ vorgestellt werden, sind gute Beispiele aus der Praxis zur professionellen Werbung für den Erzieherberuf einerseits und bieten andererseits Ideen für Aktionen zur geschlechtersensiblen Berufs- und Zukunftsplanung mit Jugendlichen und Heranwachsenden. Die, in den Beispielen beschriebenen Aktionen können nicht nur von Kitas und Kita-Trägern durchgeführt werden. Sie richten sich genauso an Lehrkräfte, Mitarbeiter/innen der Agenturen für Arbeit und andere für die Berufsorientierung relevante Akteure.

Wie lässt sich dieser Themenaspekt langfristig als fester Bestandteil in die Arbeit von Kitas und Kita-Trägern integrieren?

Das wird wohl nur möglich sein, wenn die Verantwortlichen der Kita-Träger Zeitressourcen zur Verfügung stellen, mit denen beispielsweise Praxis-Anleiter/innen oder die im Newsletter beschriebenen Werbeerzieher/innen  Projekte zum Thema Berufsorientierung in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen durchführen können. Vielfältige Vernetzungen und Kooperationen, aber auch professionelle Werbung sind wichtige Erfolgsfaktoren um das Ziel einer „Geschlechtersensiblen Berufsorientierung“ langfristig und nachhaltig zu erreichen.

Vielen Dank für das Interview!