So fange ich an

Geschlechtsbezogene Pädagogik in Kindertagesstätten umsetzen

Wie kann sich ein Kitateam lustvoll mit dem Thema Gender beschäftigen? Antworten auf diese Frage gibt ein von Dr. Tim Rohrmann veröffentlichter Beitrag  (aus:  Jens Krabel, Michael Cremers (Hg.) (2012). Genderloops. Praxisbuch für eine geschlechterbewusste und -gerechte Kindertageseinrichtung, S. 7-8)

Beginnen Sie gemeinsam!

Geschlechtergerechtigkeit beginnt nicht mit dem Aufstellen von Normen und Regeln, sondern mit Fragen: „Wozu soll dieser Genderkram überhaupt gut sein?“ – „Sind Jungen und Mädchen nicht einfach von Natur aus verschieden?“ Und nicht zuletzt: „Was bringt es uns? Was haben wir im Alltag davon, uns mit dem Thema zu befassen?“ Sprechen Sie zunächst mit Kolleginnen und Kollegen bzw. im Team darüber, was Sie am Thema ‚Jungen – Mädchen – Gender‘ interessiert und warum Sie sich damit beschäftigen möchten. Dabei sollten unterschiedliche persönliche Haltungen der Beteiligten und auch Skepsis ihren Raum erhalten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unter oberflächlicher Zustimmung – wer ist schon gegen Chancengleichheit? – Widerstände gegen Veränderungen verborgen bleiben.

  • Verständigen Sie sich auf gemeinsame Ziele – aber lassen Sie genügend Raum für Unterschiedlichkeit!


Finden Sie den richtigen Einstieg.

Für den Einstieg in die geschlechterbewusste und -gerechte Pädagogik gibt es viele Möglichkeiten:

  • Fortbildung

Nehmen Sie an einer Fortbildung zum Thema teil, oder laden Sie eine Referentin oder einen Referenten für einen einrichtungsinternen Studientag ein.

  • Beobachtung

„Beobachtung ist wichtig – aber leider haben wir nie Zeit dafür“... aber pädagogisches Handeln ohne Beobachtung und Reflexion wird leicht zu Aktionismus. Beginnen Sie damit, einen kleinen Bereich oder einzelne Kinder systematisch zu beobachten und Ihre Eindrücke zu dokumentieren.

  • Etwas lesen

Lesen Sie gemeinsam einen einführenden Fachartikel oder das tolle Buch von Melitta Walter (2005). Jungen sind anders, Mädchen auch. Oder teilen Sie ein Schwerpunktheft einer Fachzeitschrift zur Genderthematik im Team auf, und jede Kollegin und jeder Kollege stellt einen Beitrag vor.

  • Experimente

Sie müssen nicht gleich ein großes Projekt oder regelmäßiges Angebot starten. Fangen Sie klein
an, indem Sie ein bestimmtes Angebot oder einen Spielbereich, zum Beispiel den Bewegungsraum, einmal nur für Mädchen, einmal nur für Jungen öffnen. Lassen Sie sich davon überraschen, was dann passiert. Verständigen Sie sich dabei auf individuelle Ziele – es müssen nicht alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das Gleiche wollen oder ausprobieren. Entscheidend ist, überhaupt anzufangen!“

Verankern Sie das Thema im Alltag.

Die Beschäftigung mit Gender ist eine Querschnittsaufgabe, das heißt sie soll nicht auf einzelne Projekte beschränkt bleiben, sondern die gesamte pädagogische Arbeit einbeziehen. Dies bedeutet:

  • Gender im Alltag zu reflektieren: regelmäßig danach fragen, ob und was das Verhalten eines Kindes mit ihrem/seinem Geschlecht zu tun hat; ob und inwiefern Mädchen und Jungen Angebote unterschiedlich nutzen; was die eigenen Reaktionen mit dem eigenen Frau- bzw. Mannsein zu tun haben...
  • Genderaspekte bei der Planung zu berücksichtigen, zum Beispiel beim jährlichen Materialeinkauf oder bei der Jahresplanung von Projekten ...
  • alle Bildungsbereiche geschlechterbewusst zu reflektieren. Einige Beispiele und Anregungen dafür finden Sie im dritten Kapitel des Praxisbuchs und weitere Beispiele auf der Projektwebseite unter www.genderloops.eu.

Beteiligen Sie die Jungen und Mädchen.
All zu oft werden Konzepte und Angebote für Kinder geplant und nicht mit ihnen. Stattdessen sollte geschlechterbewusste und – gerechte Pädagogik von den Sichtweisen der Kinder ausgehen. Einer der besten Zugänge zum Thema ist daher, mit Mädchen und Jungen selbst ins Gespräch zu kommen.

  • Führen Sie Interviews mit Mädchen und Jungen durch.
  • Entwickeln Sie Angebote gemeinsam mit Mädchen und Jungen.
  • Werden Sie zu Forscher/innen, die gemeinsam mit Jungen und Mädchen Geschlechterwelten erkunden.


Beziehen Sie die Eltern von Anfang an mit ein.

Eine bloße Mitteilung, dass in der Kita jetzt „ein Gender-Projekt durchgeführt wird“, kann Eltern irritieren und  verunsichern. Beziehen Sie Eltern (bzw. ElternvertreterInnen) von Beginn an mit ein.

  • Beginnen Sie auf keinen Fall mit einer Begriffserklärung von „Gender Mainstreaming“. Gute Erfahrungen gibt es stattdessen damit, auf einem Elternabend gemeinsam die Frage zu reflektieren, „wie wir Jungen und Mädchen auf ein Leben in einer sich verändernden Welt vorbereiten können“.


Bemühen Sie sich um mehr Männer in Ihrer Kita.

  • Bemühen Sie sich um männliche Praktikanten – und reflektieren Sie mit ihnen gemeinsam ihre Rolle als Mann in der Kita.
  • Beziehen Sie Väter aktiv in den Kitaalltag mit ein – nicht nur wenn schwere Gartenarbeiten anstehen, sondern auch zum Vorlesen oder zu Vater-Kind-Spielaktionen.
  • Setzen Sie sich dafür ein, dass Jungen und Männer erfahren, welche Perspektiven das Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen ihnen bietet.


Ihre Aufgaben als Leitung
Einer Umsetzung geschlechterbewusster und –gerechter  Pädagogik steht meist nicht fehlende Bereitschaft im Weg, sondern Zeitmangel und schlechte Organisation.

  • Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter/innen dabei, Zeiten für Beobachtung, Dokumentation und Austausch mit Kolleg/innen verbindlich zu organisieren.
  • Schaffen Sie „niedrigschwellige“ Möglichkeiten für Dokumentation, zum Beispiel durch Einrichtung einer Themenwand für Fragen und Beobachtungen oder durch die Anschaffung von persönlichen Forschungstagebüchern.
  • Stellen Sie Fachliteratur in überschaubaren Häppchen bereit und sorgen Sie dafür, dass sie auch gelesen wird.
  • Sichern Sie Zeiten für Austausch und Reflexion im Team.
  • Übernehmen Sie die Verantwortung für die Ergebnissicherung, für die Präsentation von Erfolgen nach außen und für die Verankerung der Erfolge in der Konzeption und auf übergeordneter Ebene.
  • Stärken Sie die fachliche Entwicklung Ihrer Mitarbeiter/innen durch individuelle Fortbildungsplanung. Die Auswahl von Fortbildungen sollte nicht nur von individuellen Vorlieben der Mitarbeiter/innen abhängig sein, sondern ist auch Leitungsaufgabe.

Stecken Sie Ihre Ziele nicht hoch – aber bleiben Sie am Ball.
Geschlechterbewusste Erziehung und Bildung lässt sich nicht als Programm verwirklichen. Sie braucht Zeit und die Bereitschaft, sich und das eigene pädagogische Handeln immer wieder in Frage zu stellen. Veränderungen beginnen im Kleinen und sind zunächst oft nicht sichtbar. Darum sind Austausch und Reflexion gerade bei diesem Thema so wichtig.
Fangen Sie an – und lassen Sie sich überraschen!

 

Weitere Informationen zur Umsetzung von geschlechtsbezogener Pädagogik in Kitas  finden Sie in unserer im März erscheinenden Handreichung „Gendersensibel arbeiten in Kindertagesstätten“, in „MEHR Männer in Kitas – Analysen, Erfahrungen und Strategien“, Hrsg. Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ (2013).

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