Berufswechsler wollen ihrer Arbeit mehr Sinn geben

Thomas Rhyner über Lernmotivation und Sinnstiftung männlicher Fachkräfte

Thomas Rhyner unterstützt Kitas bei der Inklusion von Männern. Foto: privat

Das Projekt „Gender in der Kita: Veränderungen zur Inklusion von Männern gemeinsam gestalten“ ist in der Schweiz angesiedelt und richtet sich an interessierte Kitas, die ihre Arbeit reflektieren und weiterentwickeln wollen, sowie an Männer, die in diesem Feld arbeiten oder sich in der Ausbildung zum Kinderbetreuer befinden. Ziel ist es dabei, Kitas bei der Inklusion von Männern zu unterstützen und Männern den Einstieg in das Berufsfeld erleichtern.

Das Projekt gliedert sich in die Bereiche Kita-Entwicklung und Weiterbildung. Durchgeführt wird das Projekt von der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) und der Universität St.Gallen in Kooperation mit Curaviva, der Höheren Fachschule für Kindererziehung Zug (hfk) und dem Verband Kinderbetreuung Schweiz kibesuisse.

Wir haben Thomas Rhyner, im Projekt Ansprechpartner für Weiterbildung, nach seinen Erfahrungen in Seminaren mit männlichen Fachkräften befragt. Von 2011 bis 2014 leitete er das Projekt „Men’s Walk&Talk“. Dort ging es um die Frage, wie sich Männer in mehrheitlich von Frauen belegten Studiengängen erleben und wie sie genderbezogene Wahrnehmungen produktiv in Studium und Beruf nutzen können.

Wie erleben sich die Männer, mit denen Sie gearbeitet haben, in ihrem Studium/ihrer Ausbildung?

Im Großen und Ganzen scheint hier (Pädagogische Hochschule St.Gallen, Studiengang Kindergarten und Primarschule) die Befindlichkeit in Ordnung zu sein. Wenn Männer von befremdlichen Situationen erzählen, so sind das meistens Erlebnisse aus der Rhythmik oder dem Sport, wo teilweise andere Körpererfahrungen gemacht werden als jene aus der eigenen Sozialisation und körperlichen Entwicklung. Dies betrifft vor allem Tanzformen, -schritte und -abläufe.

Die Themen, die die Männer beschäftigen, sind so verschieden wie die Männer selbst es sind! Und viele Themen decken sich wohl mit jenen der Studentinnen. Geschlecht scheint in meinen Augen eine nicht so dominante Kategorie zu sein – eher wären es die finanzielle Situation oder das Bestehen in einem relativ eng geführten Studiengang, wenn man eigene Kinder oder zu betreuende Familienmitglieder hat.

Wie wirkt sich das Erlebte auf das Studium und die Lernsituation der Männer aus?

Auch hier sind die Bewältigungsstrategien sehr individuell. Bei Doppelbelastungen meine ich aus informellen Gesprächen mit studierenden Eltern zu sehen, dass vor allem externe Ressourcen wie Großeltern oder Darlehen zum Zuge kommen. Da es sich hier um ein ausgesprochenes Präsenzstudium handelt, ist der Zeitaspekt dominant.

Männer sind sich anscheinend bewusst, einen „Bonus“ zu haben. Dozierende lernen die Namen der Männer schneller, weil sie aus einer Lerngruppe „herausragen“ (ca. 15% der Studierenden hier sind Männer). Die hier studierenden Männer sind tendenziell leistungsschwächer als die Studentinnen; bei Nachprüfungen, welche nach dem Nichtbestehen eines Modulnachweises bestanden werden müssen, machen Männer in der Regel circa 50% der Anwesenden aus. Wir Dozierenden machen zudem die Beobachtung, dass in Lerngruppen mit vielen Männern die Leistungen stärker streuen. An der PHSG haben wir punktuell Versuche gemacht, indem zum Beispiel die „wenigen“ Männer in dieselben Lerngruppen eingeteilt werden. Dies führte teilweise zu mehr Engagement der studierenden Männer. Sauber evaluiert wurden diese Versuche jedoch nicht. Die Alltagsbeobachtung lässt vermuten, dass es zwei Konstellationen gibt, wo die eher tiefen Leistungseinstellungen der Männer („pokern“, „cool bleiben“…) nicht stark auf die Lerngruppe einwirken: Wenn es nur ein bis zwei Männer in einer Gruppe von 30 Studierenden hat oder wenn die Teilhabe wie in den Versuchen beschrieben sehr groß ist. Kritisch wird es meines Erachtens, wenn vier bis acht Männer in der Lerngruppe sind: Zu viele, um zu „verschwinden“, aber zu wenige, um sich gegenseitig anzuspornen. In dieser Konstellation betreiben studierende Männer eher „boarder work“ im Sinne männlicher Abgrenzung von Studentinnen. Aber das sind alles kleine Alltagswahrnehmungen; das müsste wissenschaftlich überprüft werden.

In Deutschland startet in diesen Tagen das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und  des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Modellprogramm ‚Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas‘. Es richtet sich an Kita-Träger und Fachschulen bzw. -akademien, die für Berufswechslerinnen und Berufswechsler eine vergütete, erwachsenengerechte und geschlechtersensible Ausbildung zum Erzieher/zur Erzieherin kreieren, erproben oder verbessern wollen. Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen als Lehrer und Dozent mit der Zielgruppe ‚Männer‘, wie können Lehrer/innen bzw. Dozent/innen im Rahmen des Unterrichts gendersensibel auf die Situation dieser Zielgruppe eingehen?

Ich denke, es gibt zwei Aspekte. Erstens: Die Kompetenzen aus dem Erstberuf für diese Ausbildung bewusst nutzen. Was bringen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit? Was ist ihr Vorwissen? Wer in der Gastronomie eine Erstausbildung gemacht hat, kann die in der Kita zum Beispiel bei der Verpflegung nutzen. Handwerkliche Kompetenzen liegen möglicherweise auch brach und könnten einem Betrieb dienen. Aber: Männer in Kitas nur auf diese Aspekte zu reduzieren, wäre ungünstig. Sie wollen ja weg von ihrem angestammten Beruf und ihre Kompetenzen erweitern! Zweitens: Berufswechsler (ich spreche jetzt nur von den Männern) wollen ihrer Arbeit mehr Sinn geben, deshalb wechseln sie zum Beispiel von Maschinen zu Menschen. Die Sinnhaftigkeit der neuen Arbeit, die Funktionalität der Arbeit im Kontext einer modernen Gesellschaft et cetera müsste hervorgehoben werden. Auch kann dies in einem biografischen Kontext wichtig werden. Ich habe – wiederum in informellen Gesprächen – von Männern Aussagen wie: „Mit 30 merkte ich, dass es beruflich doch nicht bis zur Pensionierung so weitergehen kann. Ich wollte etwas tun, wo ich einen Sinn sehe.“ Es darf ruhig auch darüber philosophiert werden. Oder eine geschichtliche und politische Einbettung des neuen Berufs würde möglicherweise auf Interesse stoßen.

Welche Gender-Kompetenzen sollte ein/e Lehrer/in bzw. Dozent/in mitbringen, der/die eine solche Klasse über drei Ausbildungsjahre begleitet?

  • Männer brauchen klare Ansagen.
  • Direkte Kommunikation.
  • Ernstnehmen der Motive und Statements von Männern.
  • Diskriminierungserfahrungen von Männern unbedingt ernst nehmen und thematisieren.
  • Gesellschaftliche Geschlechterkonstruktionen aufdecken (Gender/Doing-Gender-Konzept; Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Connell diskutieren). Bedeutung für Männer diskutieren.
  • Unterricht mit Aktivitäten verbinden.


Weitere Anregungen finden Sie in unserem Umsetzungskonzept „Men’s Walk & Talk“. Es fasst die Erfahrungen in einem Projekt zusammen, welches mit studierenden Männern in eher von Frauen gewählten Studiengängen durchgeführt wurde. Kern des Projekts war ein Bildungsangebot während einer Blockwoche. Dort bearbeiteten die Studenten männerspezifische Themen, indem sie körperlich aktiv wurden („Walk“) und sich zu den Themen austauschten („Talk“). Methodisch lebt das Bildungsangebot von der hohen Partizipation und Mitverantwortung, welche die Männer leisten müssen: Fast die Hälfte des Bildungsangebots wird durch die Studenten verantwortet. Das Umsetzungskonzept kann gerne in anderen Bildungsinstitutionen verwendet werden http://extranet.phsg.ch/web/die-phsg/rektorat/fachstelle-gender-diversity/maenner-fuer-den-lehrberuf/umsetzungskonzept-und-toolbox-men-s-walk-talk.aspx

Vielen DANK für die Beantwortung der Fragen!