Türkei: Einzigartige Pilotstudie

Männliche Fachkräfte beurteilen die Bedürfnisse von Kindern anders als ihre Kolleginnen

Foto: privat

Es ist kaum Thema in der wissenschaftlichen Diskussion in der Türkei, und auch die Politik hat sich damit bisher nicht befasst: Der geringe Anteil männlicher Fachkräfte in türkischen Vorschulen. Im Rahmen des diesjährigen Austauschtreffens des internationalen Forschungsnetzwerks „Gender Balance“ stellte Assist. Prof. Dr. Ramazan Sak die Studie „Activity choices of male and female preschool teachers in Turkey“ (Aktivitätsangebote männlicher und weiblicher Vorschullehrer/innen in der Türkei) vor, eine in ihrer Art bisher einzigartige Pilotstudie in der Türkei. Für die Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ fasst Sak die Ergebnisse der Studie zusammen.

Unterschiedliche Interpretationen

Assist. Prof. Dr. Ramazan Sak und Assist. Prof. Dr. İkbal Tuba Şahin Sak von der Yüzüncü Yıl University in Van haben in ihrer Pilotstudie untersucht, inwiefern die schulischen Angebote (Kunst, Türkisch, Spiel und Bewegung, Musik, Theater sowie Mathematik) von Vorschullehrer/innen in Bezug auf das Geschlecht der Lehrperson variieren. In ihrer Studie stellten sie fest, dass die Bedürfnisse der Vorschüler/innen, deren Entwicklungsstand und Interessen je nach Geschlecht der Lehrperson unterschiedlich interpretiert werden. So würden Vorschullehrer häufiger als Vorschullehrerinnen Spiel (play) und Bewegung (movement) anbieten. Hingegen böten Vorschullehrerinnen häufiger als ihre männlichen Kollegen Kunst und Türkisch an.

Diskussion ankurbeln

In der Türkei liegt 2015 der Anteil der männlichen Vorschullehrer bei 6,36 Prozent. Laut Ramazan Sak wird dieser vermutlich steigen, da es im Vorschulbereich mehr Stellenangebote als Bewerber/innen gibt. Obgleich der Anteil der männlichen Fachkräfte in der vorschulischen Bildung unter 10 Prozent liegt, gäbe es keine politischen Maßnahmen oder geförderten Programme, um den Männeranteil in Vorschulen zu erhöhen. Auch in der wissenschaftlichen Diskussion werde das Thema marginal behandelt, die Pilotstudie von Sak und Sak sei in dieser Form einzigartig. Daher erwägen die beiden Forschenden, die Pilotstudie zu erweitern und damit die Diskussion um den geringen Anteil männlicher Fachkräfte in Vorschulen anzukurbeln.

Skepsis bei den Eltern

Auch in der Türkei sind männliche Fachkräfte in der vorschulischen Bildung mit Vorurteilen und der Skepsis konfrontiert, ob sie denn diese Arbeit auch meistern könnten, so Sak. Allerdings würden die Eltern ihre Vorurteile schnell wieder abbauen. Themen wie der Generalverdacht würden weder in der wissenschaftlichen noch in der bildungspolitischen Öffentlichkeit diskutiert. „Inwiefern er dennoch für die Skepsis der Eltern mitverantwortlich ist, kann nicht gesagt werden“, stellt Ramazan Sak fest.

Info
Frühkindliche Bildung in der Türkei

Die staatliche frühkindliche Bildung in der Türkei richtet sich hauptsächlich an Kinder zwischen drei und fünfeinhalb Jahren und ist vergleichbar mit den (ehemaligen) Vorschulen in Deutschland. Der Besuch der Vorschule ist in der Türkei freiwillig und größtenteils kostenpflichtig. Kindertageseinrichtungen für Kinder zwischen null und drei Jahren werden von privaten Trägern, vor allem in Großstädten, angeboten.
Die frühkindliche Bildung differenziert sich in zwei Schwerpunkte, wobei für die Arbeit der pädagogischen Fachkraft das Curriculum, der Entwicklungsstand und die Interessen der Vorschüler/innen ausschlaggebend sind. Den jüngeren Vorschüler/innen (drei bis vier Jahre) werden die Inhalte des Curriculums – unter anderem Kunst, Türkisch, Spiel und Bewegung, Musik, Theater sowie Mathematik – nähergebracht. Die vier- bis fünfeinhalbjährigen Vorschüler/innen hingegen werden mehrheitlich auf die Herausforderungen der Grundschule vorbereitet, wie beispielsweise das konzentrierte Arbeiten an einer Aufgabe. Die Inhalte des Curriculums nähern sich den Inhalten der Grundschule an und der pädagogische Alltag gestaltet sich schulischer.