„Partizipation in Kitas bedeutet sich selbst zurückzunehmen und Kindern Freiräume zu geben. Das kann nicht jeder!“

Die Koordinationsstelle im Interview mit einer Kita-Leiterin zum Thema „Partizipation“

Die Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ hat ein Interview mit einer Kita-Leiterin geführt, die als Erzieherin in ihrer Kindergruppe die Kinderkonferenz als eine partizipative Methode eingeführt hat. Da im Gespräch eine Gegebenheit geschildert wird, die Rückschlüsse auf die beteiligten Kinder und ihre Familien zulässt, haben wir uns dazu entschlossen, das Interview zu anonymisieren. Das hier vorgestellte Beispiel zeigt, dass Methoden und Instrumente der Partizipation von Kindern einerseits dazu beitragen können, die Rechte von Kindern zu stärken, andererseits aber auch Konfliktpotential in sich bergen, das vor allem auf das Verhalten Erwachsener zurück zu führen ist.

Redaktion: Was hat Sie als Erzieherin dazu bewogen, ein Partizipationsprojekt durchzuführen?

Erzieherin: Für mich gehört es als Erzieherin zu meinem professionellen Selbstverständnis, dass Kinder Rechte haben. Sie sollen über ihren Alltag in der Kita mitbestimmen können. Grundsätzlich vertraue ich darauf, dass Kinder entsprechend ihrem Alter dazu in der Lage sind.

Partizipation bedeutet für mich, Kindern Räume zu geben, in denen sie Freiheit erfahren können. Eine Freiheit, die sich durch den Kita-Alltag zieht. Kann ich mir beim Mittagessen selber was auf den Teller nehmen? Wird mir zugetraut, dass ich den Tisch decke? Darf ich alleine auf den Spielplatz, wenn ich es möchte? Darf ich mich ohne Aufsicht von Erwachsenen in einem Raum aufhalten?

Ich habe die Kinderkonferenz als einen Freiraum eingeführt, in dem die Kinder ihre Meinung sagen und gemeinsame Regeln für das Zusammenleben aufstellen können. In diesem Prozess der Aushandlung muss ich als Erzieherin in der Lage sein, Kinder zu hören, die mit ihrem Anliegen in der Minderzahl sind. Das muss ich auch den Kindern vermitteln: Demokratie heißt nicht, dass die Mehrheit über die Minderheit bestimmt. Das ist auch in Kindergruppen ein Aushandlungsprozess.

Redaktion:  Wie muss ich mir die Kinderkonferenz konkret vorstellen?

Erzieherin: Wir hatten jeden Morgen einen Morgenkreis. Am Freitag wurde er als Kinderkonferenz gestaltet. Wir haben die Kinder dann gebeten, ihre Anliegen vorzubringen. Eine Kollegin hat die Treffen protokolliert, die andere hat sie moderiert. Die Protokolle wurden dann am Ende vorgelesen, von den Kindern verabschiedet und abgeheftet. Der Ordner stand immer im Gruppenraum. Für uns war dieses Ritual und die Sichtbarkeit des Ordners ein äußeres Zeichen für die systematisierte und verbindliche Einführung der Beteiligung der Kinder. Geleitet waren wir von dem Interesse, mehr über die Kinder und über das, was sie bewegt, zu erfahren.

Während der Kinderkonferenz haben wir Gegebenheiten und Konflikte angesprochen, die uns während der zurückliegenden Woche aufgefallen sind. Wir haben auch die Kinder gefragt, ob ihnen etwas aufgefallen ist, ob sie etwas ansprechen möchten. So wurde die Konferenz schnell zu einem Ort, an dem Konflikte noch einmal reflektiert und Vereinbarungen für künftige konflikthafte Situationen getroffen wurden. Also zum Beispiel „Wie wollen wir es regeln, wenn in der Bauecke Kinder ausgeschlossen werden?“. Um am Ende wieder auf eine neutrale Gesprächsebene zu kommen, haben wir die Kinder dann um Feedback gebeten, was ihnen in der letzten Woche besonders gut gefallen hat. Dann haben wir mit ihnen abgestimmt, was alle am besten fanden. Als das Instrument gut eingeführt war und die Kinder Vertrauen gefasst haben, wussten sie, dass die Kinderkonferenz ein sicheren Ort ist, an dem sie sich anvertrauen können und der einen Rahmen bietet, in dem sie sagen können, wo der Schuh drückt.

Nach ungefähr fünf Monaten hat dann ein Kind während der Kinderkonferenzangefangen zu weinen. Es erzählte, dass es am Morgen vom Vater gegen seinen Willen angezogen wurde. Dabei hatte sich der Vater als der Stärkere auch körperlich über das Kind hinweg gesetzt, indem er es gegen seinen Willen festgehalten und angezogen hat. Wir waren alle sehr betroffen und irritiert über die Heftigkeit, mit der das Kind während der Kinderkonferenz den Vorfall vorgetragen hat. Wir sind dann darauf eingegangen, haben das Kind beruhigt, aber auch zu verstehen gegeben, dass Kinder Rechte haben und Erwachsene diese Rechte achten müssen. Dann haben wir die Mutter informiert, die das Kind abgeholt hat. Die war ebenfalls sehr betroffen, aber vor allem auch verängstigt.

Im Nachhinein wurde dann meiner Kollegin und mir mitgeteilt, wir würden die Kinder mit der Methode der Kinderkonferenz überfordern. Außerdem hat man uns vorgehalten, dass wir die Kinderkonferenz nicht sofort abgebrochen haben, als das Kind zu weinen anfing.  Das Ereignis wurde dann von den Elternvertretern besprochen und sie haben beschlossen, dass die Kinderkonferenz abgeschafft werden soll. Unsere Leitung hat den Beschluss der Eltern nicht hinterfragt und uns nicht unterstützt, so dass die Kinderkonferenz fortan nicht mehr stattgefunden hat. Ohne die Unterstützung der Eltern und der Leitung konnten wir nicht weitermachen damit. Danach fanden die Kinderkonferenzen nicht mehr systematisiert statt.

Redaktion: Wenn man es unter dem Blickwinkel betrachtet, dass Partizipation auch Schutz vor Gewalt und Übergriffen bieten soll, war Ihre Kinderkonferenz ja eigentlich erfolgreich. Das erinnert mich an Rüdiger Hansen vom Institut für Partizipation und Bildung, der in einem Interview mit uns gesagt hat: „Wir sind noch nie an die Grenzen der Kinder gestoßen, aber immer wieder an die Grenzen der Erwachsenen.“

Erzieherin: Ja, diese Erfahrung teile ich voll und ganz. Heute bin ich auch erfahrener und würde anders damit umgehen. Aber ohne die Rückendeckung der Eltern und der Leitung war uns das damals leider nicht möglich und wäre es auch heute nicht möglich. An den Kindern ist es jedenfalls nicht gescheitert. Sie haben die Kinderkonferenz ja genauso genutzt, wie sie eigentlich intendiert war, nämlich als einen sicheren Ort, an dem ich mich anvertrauen kann.

Redaktion: Was würden Sie Erzieher/innen mit auf den Weg geben, die eine Kinderkonferenz in ihrer Kindergruppe einführen möchten?

Erzieherin: Zunächst muss ich erst mal meine eigene Einstellung dazu kennen. Nicht jede Erzieherin oder jeder Erzieher kann partizipative Methoden einführen. Kinder teilhaben zu lassen bedeutet, sich selbst zurückzunehmen, das heißt die Angebote und Projekte gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln. Das ist ein Prozess der Professionalisierung frühkindlicher Erziehung und Bildung. Insofern sind wir heute glücklicherweise weiter, als noch vor sechs Jahren, als wir unsere Konferenz eingeführt hatten.

Damit die Methode der Kinderkonferenz wirklich erfolgreich und systematisiert eingeführt wird, sollte sich das gesamte Team fortbilden. Damit alle die Chancen kennenlernen, die diese Methode bietet, aber auch die Grenzen. Auch eine Schulung in der Gesprächsführung mit Kindern ist ratsam.

Redaktion: Mittlerweile leiten Sie selbst eine Kita mit 80 Kindern. Worauf sollten Leitungen bzw. Verantwortliche von Kita-Trägern achten?

Eine Kita-Leitung kann nur dann überzeugend Partizipationsstrukturen für Kinder einführen, wenn sie sie selbst mit ihrem Team vorlebt. Dann wird sich diese Grundhaltung auch auf das Team übertragen und die Erzieherinnen und Erzieher geben es an automatisch an die Kinder weiter. Dasselbe gilt für Kita-Träger.

Redaktion: Vielen Dank für das Interview!