Väterarbeit ohne männliche Erzieher

Wie es einer Stendaler Kita ohne Erzieher gelungen ist, eine funktionierende Väterarbeit zu installieren

Andrea Butzek. Foto: privat.

Im Interview: Andrea Butzek
Funktion in der Kita: Leiterin
Erzieherin sei: 1985
Anzahl der Erzieher in der Kita: 22 Erzieherinnen, keine Erzieher

Frau Butzek, Sie haben in Ihrer Kita, in der es keine männlichen Fachkräfte gibt, als Erzieherin eine funktionierende Väterarbeit installiert. Wie kam es dazu und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Erziehungspartnerschaft ist zentrales Thema in unserer Kindertageseinrichtung und auch konzeptionell verankert. Für die individuelle Arbeit mit den Kindern ist es uns wichtig, uns regelmäßig mit den Eltern auszutauschen. In den vergangenen zwei Jahren war es grundlegendes Ziel, die Elternarbeit in unserer Kita noch weiter zu optimieren. Neben den Entwicklungs- und Elterngesprächen versuchen wir, unsere Eltern auch umfassend über das tägliche Geschehen in unserer Einrichtung zu informieren und sie aktiv in den Alltag einzubinden. Wir organisieren Elternnachmittage und stehen den Eltern auch beratend zur Seite. Insbesondere die Integration der Familien mit Migrationshintergrund hat in unserer Einrichtung einen besonderen Stellenwert.

Seit 2011 sind wir Kita im Projekt „KITA sucht Mann“ des Stendaler ESF-Modellprojekts „MEHR Männer in Kitas“. Durch das Projekt wurden wir angeregt, auch die Väterarbeit stärker in den Blick zu nehmen. Es bestand das Angebot, eine Kollegin aus dem Team zur „Multiplikatorin – Väterarbeit“ ausbilden zu lassen. Daran haben wir uns gern beteiligt. Eine Erzieherin unserer Kita hat die verschieden Veranstaltungen des ESF-Modellprojekts besucht. Im Team haben wir die Themen und Anregungen aufgegriffen. Wir haben speziell für unsere Kita Fragenschwerpunkten beleuchtet.

  • Wann und wo haben wir den meisten Kontakt zu Vätern?
  • Wo suchen wir im Kita-Alltag Kontakt zu den Vätern?
  • Wo würden wir uns mehr Kontakt wünschen?
  • Welche Beteiligungsmöglichkeiten haben Väter in unsere Einrichtung?
  • Was wissen wir über unsere Väter?
  • Wo würden Väter sich beteiligen und haben wir sie schon einmal danach gefragt?
  • Wissen wir, wo Väter sich einbringen würden?
  • Kennen wir ihre Stärken und Interesses?

Daraufhin haben wir unsere Praxis kritisch reflektiert und daraus Handlungsstrategien für die Väterarbeit abgeleitet.

So haben wir beispielsweise festgestellt, dass besonders die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Vätern mit Migrationshintergrund viele Potenziale birgt. Wir konnten Väter gewinnen, die mich als Leitung beispielsweise bei den Aufnahmegesprächen unterstützen oder Informationen für andere Familien übersetzen und den Austausch beflügeln.

Vereinzelt engagieren sich Väter auch im Gruppengeschehen.
Wir bieten nun auch gezielte Angebote und Nachmittage ausschließlich für Väter und Kinder an. So haben wir beispielsweise einen „Magnetbaustein-Workshop“ durchgeführt, der sehr gut von den Vätern angenommen wurde. Dieses Angebot wollen wir als festen Bestandteil unserer Väterarbeit in der Kita etablieren.

Wir konnten auch einen Ausflug zu einem Abenteuerspielplatz arrangieren, an dem 15 Väter mit ihren Kindern teilgenommen haben.

Durch diese neuen Elemente im Rahmen unserer Elternarbeit merken wir schon jetzt, dass Väter sich mehr am Kita-Alltag beteiligen. Auch der Austausch zwischen den Vätern und uns ist intensiver geworden. Zunehmend werden wir als Einrichtung auch zur Austauschplattform für die Väter untereinander. Das freut uns natürlich sehr.

Dass wir keinen männlichen Erzieher in der Einrichtung haben, scheint erst einmal keine Hürde zu sein.

Was geben Sie als Erzieherin anderen Erzieherinnen mit auf den Weg, die darüber nachdenken, mit Vätern zu arbeiten? Was sollten sie beachten?

Das Wichtigste in der Elternarbeit allgemein ist Wertschätzung und Anerkennung. Das sind die Grundlagen gelingender Elternarbeit.
Ein Erfolgsfaktor aus unserer Sicht war, durch Befragungen oder über Gespräche direkt herauszufinden, was die Väter von uns als Kita erwarten und was sie sich wünschen würden und natürlich auch, wo sie sich gern einbringen würden, welche Formen und Inhalte der Zusammenarbeit für sie interessant wären.

Für uns war eine spannende Erfahrung, dass spezielle Angebote, die nur auf wenige Personen begrenzt sind, zu einer „positiven Konkurrenz“ unter den Vätern geführt haben. Väter zeigten sich interessierter, fragten Angebote nach, forderten weitere Termine ein. Erfahrungen wurden ausgetauscht und andere Väter wurden dazu angeregt, sich an dem einen oder anderen Angebot zu beteiligen.

Eine goldene Regel in Bezug auf Väterarbeit für uns besagt: „Weniger ist manchmal mehr“. Väter sollten nicht mit Angeboten und Nachfragen überhäuft werden. Generell sollten die Interessen der Väter Berücksichtigung finden. Doch hier besteht auch ein Dilemma. „Väter“ sind keine homogene Gruppe. Kein Angebot kann alle Bedarfe von allen Vätern berücksichtigen. Dessen muss man sich bewusst sein. Man wird nie alle Väter begeistern können. Vielmehr sollte man sich über die Väter freuen, die man erreicht hat.

Das ESF-Modellprojekt „MEHR Männer in Kitas“ läuft nun seit zwei Jahren. Wie beurteilen Sie das Projekt aus der Perspektive einer weiblichen Fachkraft in der Kita?

Vor Beginn des ESF-Modellprojekts war „Männer in Kitas“ kein Thema in unserer Einrichtung. Wir waren gespannt, was durch das Projekt auf uns zukommt.

Nach den ersten Treffen mit den Projektkoordinatoren und anderen Projektpartnern war ich persönlich überrascht, wie vielfältig das Thema ist. Schnell war klar, es geht nicht nur um männliche Erzieher, sondern auch um Praktikanten, Väter und unsere eigene Arbeit mit den Kindern.
Das ESF-Modellprojekt hat uns neugierig auf das Themenfeld „Männer in Kitas“ gemacht. Durch die verschiedenen Themen und Schwerpunkte haben wir begonnen, unsere Arbeit noch einmal aus einem anderen Blickwinkel kritischer zu reflektieren.

Vor allem den Umgang mit männlichen Praktikanten und Vätern nehmen wir jetzt sensibler wahr und haben daher auch neue Schwerpunkte, in unserer Arbeit implementiert.

In vielen Bereichen konnten wir unser Basiswissen erweitern. Dazu waren vor allem die Treffen mit anderen Fachkräften wichtig. Diese sind ein fester Bestandteil im Projekt. Die professionelle und wertschätzende Moderation der beiden Projektkoordinatoren führt stets zu einem offenen Umgang und konstruktiven Diskussionen. Diese Möglichkeiten zum Austausch sind für mich persönlich sehr interessant und bereichernd.

Spannend wäre für uns jetzt natürlich, tatsächlich Männer im Team zu beschäftigen. Wir würden es uns wünschen.

Wir danken Ihnen für diesen umfassenden Einblick und wünschen Ihnen für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ideen weiterhin viel Erfolg!

Hinweis des Herausgebers: Die Inhalte der Interviews spiegeln nicht immer die genauen Standpunkte der Koordinationsstelle wider.

www.kitsman.kinderstaerken-ev.de/ | Wesite des ESF-Modellprojekts in Sachsen-Anhalt