Geschlechterbewusste Pädagogik in Kitas verankern

Ein Erfahrungsbericht des Kirchenkreises Berlin Mitte-Nord

Kathrin Janert, Projektleitung: "Der Vortrag von Melitta Walter sollte die Erzieherinnen und Erzieher irritieren und es ihnen ermöglichen, über sich selbst zu lachen ...". Foto: Elisabeth Schoepe.

Frau Janert, Ihr Träger hat im Rahmen des Modellprojekts „MEHR Männer in Kitas“ einen Schwerpunkt auf die Verankerung einer geschlechterbewussten Pädagogik in Kitas gelegt. Warum war Ihnen diese Schwerpunktsetzung wichtig?

Dieses Modellprogramm "MEHR Männer in Kitas" verfolgt das Anliegen den Anteil von Männern in Kitas zu erhöhen. Dahinter steht das Ziel der Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen. Eine geschlechtsbewusste Pädagogik in der Kita kann meines Erachtens einen wichtigen, frühen Beitrag dazu leisten. Unser Ziel ist es, Geschlechtsstereotypen aufzuweichen und die Möglichkeiten und Handlungsräume für beide Geschlechter zu vergrößern.

Aus der Rolle fallen ...

Konkret bedeutet es, dass wir Jungen und Mädchen in der Kita bewusst Gelegenheiten geben „aus der Rolle“ zu fallen, dass wir sie darin unterstützen und ermuntern, scheinbar geschlechtsuntypische Ausdrucksformen und Verhaltensweisen für sich auszuprobieren und in ihr (Selbst-) Verständnis eines Jungen bzw. Mädchens zu integrieren.

Genderkompetenz

Damit Jungen und Mädchen eine (Geschlechts-)Identität ausbilden können, die möglichst frei von einschränkenden, tradierten Geschlechtstypisierungen und Zuschreibungen ist, braucht es genderkompetente Erzieherinnen und Erzieher. Also Fachkräfte, die ihre eigenen Rollenbilder und Verhaltensweisen hinterfragen, neue Sichtweisen und Handlungsperspektiven und -alternativen entwickeln, und zwar in enger Zusammenarbeit mit den Müttern und Vätern der Kinder. Das Modellprojekt bietet im Hinblick auf das Genderbewusstsein der Fachkräfte Anregungen und Stoff für fruchtbare Diskussionen, welche die Sensibilität für Geschlechterfragen und vor allem Geschlechtergerechtigkeit erhöhen.

Nicht zuletzt ist eine geschlechterbewusste Pädagogik ein gesellschaftspolitischer Auftrag, der sich auch im Berliner Bildungsprogramm wiederspiegelt. Als Kitaverband wollen wir diesem Auftrag aus Überzeugung gerecht werden.

Der Fachtag „Geschlechterbewusste Pädagogik“, an dem alle Erzieherinnen und Erzieher Ihres Träger teilgenommen haben, war offizieller Startschuss für die Verankerung der Gender-Thematik bei Ihrem Träger. Warum haben Sie sich dafür entschieden, einen verpflichtenden Fachtag zum Thema zu organisieren? Wie kam der Fachtag bei Ihren Erzieher/innen an? Welche Effekte hatte der Fachtag?

Ziel des Fachtages war es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker für dieses Thema zu sensibilisieren und Grundlagenwissen zu vermitteln. Dazu gehört Wissen über die Entwicklung der Geschlechtsidentität, die Differenzierung von biologischen und sozialen Geschlecht und über die Bedeutung von Gender Mainstreaming in Kitas. Der Fachtag mit dem Titel „DEN BLICK ÖFFNEN“ gab allen Beteiligten die Möglichkeit, sich über Perspektiven im Hinblick auf Geschlechterunterschiede und den Umgang damit auszutauschen, sowie Impulse und Anregungen für eine geschlechterbewusste Arbeit in der Kita aufzunehmen.

Reflexion braucht Zeit

Der Vortrag von Melitta Walter „ Geschlechtsbewusste Pädagogik als Bildungsauftrag“ sollte die Erzieherinnen und Erzieher mitzunehmen, sie irritieren, es ihnen ermöglichen, über sich selbst zu lachen, nachdenklich machen. Am Nachmittag haben wir den Mitarbeitenden Raum und Zeit für den intensiven Austausch untereinander eingeräumt, mit der Methode der „Wertschätzenden Erkundung (Appreciative enquiry)“.

Vor dem Hintergrund, dass wir alle, also auch Erzieher und Erzieherinnen, von Rollenklischees nicht frei sind, halten wir es für wichtig, dass die bei uns angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Auseinandersetzung mit ihren Definitionen von männlich und weiblich angeregt werden, um diese Vorstellungen aufzuweichen.

Weiterentwicklungen und Veränderungen in der praktischen Kitaarbeit sind dann möglich und nachhaltig, wenn sie von der einzelnen Erzieherin/dem Erzieher im Team als sinnvoll und umsetzbar erlebt werden können. Dies ist ein Prozess, der vor allem am Anfang  auch „Zeit am Stück“ zur Reflexion braucht. Die tägliche Arbeit lässt diese Zeit gewöhnlich kaum zu. Wir haben unsere Kitas an diesem Tag komplett geschlossen und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht nur den päd. Fachkräften, die Teilnahme an diesem Fachtag ermöglicht. Das positive Feedback der Teilnehmenden hat uns darin bestärkt, dass diese Entscheidung richtig war.

Viele Einrichtungen haben seither das Thema der geschlechtsbewussten Pädagogik in Teamsitzungen und kitazentrierten Fortbildungen vertieft. In zwei Einrichtungen haben sich die Teams mit der geschlechtersensiblen Sprache auseinandergesetzt, so dass im ersten Schritt Mütter und Väter in Elternbriefen angesprochen werden. Weitere Kitas überprüften ihre Raumgestaltung, um Mädchen und Jungen mehr Erfahrungsmöglichkeiten zu bieten. Eine vom Träger bereitgestellte „Gender-Box“ mit einer Auswahl an geschlechtsbewussten Bilderbüchern, Fachbücher und Handpuppen wird seither von den Kitas ausgeliehen und genutzt.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie sicherstellen, dass Gender auch nach Ablauf des Modellprojekts nachhaltig in die Organisations- und Personalentwicklung Ihres Trägers einfließt?

Durch die Entwicklung eines trägerinternen Gender-Konzepts sowie eines Konzeptes „Ev. Kitas – Ein sicherer Ort für Kinder“ möchten wir die Projektthemen in unseren Kitas verankern.

In allen Einrichtungen des Verbandes wird zu den Themen Sexualpädagogik, geschlechterbewusste Pädagogik und Partizipation von Kindern gearbeitet. Wir unterstützen die Kitas dabei mit kitazentrierten und/oder trägerinternen Fortbildungen. Die entwickelten Konzepte werden im Rahmen unseres Systems zum Qualitätsmanagement in das Träger-Handbuch integriert und dadurch regelmäßig im Rahmen der externen Evaluation auf Übereinstimmung mit der Praxis überprüft. Bisher erarbeitete Inhalte sind in diesem Zusammenhang:

  • Männer in Kitas: Um auch zukünftig den Anteil von männlichen Erziehern zu erhöhen, werden alle männlichen Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
  • Anforderungsprofil von Bewerber/innen: Grundsätzlich gehört zu unserem Anforderungsprofil, dass Erzieherinnen und Erzieher Kompetenzen in Bezug auf die geschlechterbewusste Pädagogik mitbringen und selbstverständlich bereit sind in gemischtgeschlechtlichen Teams zu arbeiten.
  • Gender im Bewerbungsgespräch: Bereits im Bewerbungsgespräch werden die Haltung des Trägers zur Chancengleichheit von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen und das Schutz-Konzept zum Thema gemacht. Geplant ist, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Schutzkonzept an die Hand gegeben wird.

Wir danken Ihnen für diesen umfassenden Einblick und wünschen Ihnen für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ideen weiterhin viel Erfolg!
Hinweis des Herausgebers: Die Inhalte der Interviews spiegeln nicht immer die genauen Standpunkte der Koordinationsstelle wider.