Frage nach ,emotionaler Arbeit´ wird immer virulenter

Die Redaktion im Interview mit dem Missy-Magazin

Wir haben die Journalistinnen Sabine Schmollack von der taz und Sonja Eismann und Chris Köver vom MissyMagazin dazu befragt, wie sie die Berichterstattung über ,Männer in Kitas´ beurteilen und welche genderpolitischen Themen in den nächsten Jahren oben auf der Agenda stehen werden. Auch Ihre Meinung zu diesen Fragen interessiert uns!

  • Wie haben Sie die Berichterstattung in den Medien bisher wahrgenommen?
  • Was glauben Sie, welche Gender-Themen künftig eine Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen werden?

Wir sind gespannt auf Ihre Einschätzung und freuen uns, wenn Sie uns diese bis zum 25. März per E-Mail schicken.

schulte(at)koordination-maennerinkitas.de

 

Das MissyMagazin verbindet die Berichterstattung über politische Entwicklungen mit einer feministischen Haltung der jüngeren Generation.


Als Herausgeberinnen und Redakteurinnen des Missy-Magazins verfolgen Sie geschlechterpolitische Debatten aus journalistischer Perspektive. Wie würden Sie die Entwicklung der Berichterstattung über geschlechterpolitische Debatten während der letzten 15 Jahre beschreiben?


Sonja Eismann:
Es ist für diesen Zeitraum auf jeden Fall eine Veränderung zu beobachten: Während ich zum Beispiel noch im Jahr 2007, als ich meinen Reader „Hot Topic. Popfeminismus heute“ bei einem kleinen alternativen Verlag veröffentlichte,  felsenfest davon überzeugt war, dass allein die Erwähnung des Wörtchens „Feminismus“ dazu führen würde, dass abseits einer kleinen interessierten Öffentlichkeit die breite Mehrheit ein so apostrophiertes Erzeugnis ignorieren oder ablehnend beäugen würde, wird der Terminus heute tatsächlich immer stärker positiv aufgeladen und ist auch in der „Malestream“-Medienberichterstattung kein No-Go mehr.

Auch wenn es durch die jahrelange mediale Stereotypisierung von FeministInnen und feministischen Anliegen („die hassen Männer“, „die haben Haare auf den Beinen – und den Zähnen!“ etc.) immer noch tiefer sitzende Vorbehalte und Klischeevorstellungen in den Köpfen gibt, hat die Öffentlichkeit das Potenzial von Frauen als Wirtschaftskräfte und gesellschaftliche Faktoren nun zu wertschätzen begonnen. Wobei Frauenemanzipation hier im Regelfall eher als individualistisches Projekt zum besseren wirtschaftlichen Fortkommen der besser Ausgebildeten gedacht wird denn als umfassende Befreiungsstrategie für alle, was ich persönlich sehr bedauere.

Es ist durchaus auch eine gewisse Veränderung bezüglich männlicher Rollenbilder wahrzunehmen, da sich vor allem Väter (oft in ihrer Position als Journalisten) in die Debatten um Gleichberechtigung einschalten und deutlich machen, dass auch sie unter starr gegenderten Erwartungen an „Männer“ als Hauptbrotverdiener, die abends und am Wochenende müde und mental sowie emotional abwesend nur zu Gast in der eigenen Familie sind, leiden und damit von einer emanzipierteren Gesellschaft ebenso profitieren würden.

Auch wenn die meisten Menschen sich nach wie vor wenig anderes als das vergeschlechtlichte Teilzeit-Vollzeit-Arbeitsmodells bei Personen mit Kindern (er arbeitet voll, sie arbeitet nach Betreuung der Kinder zu Hause in Teilzeit) vorstellen können und dieses auch in den Medien als „Normalfall“ dargestellt wird, wird immer mehr anerkannt, dass auch Väter ein Bedürfnis danach haben, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen und pflegende, fürsorgliche Rollen einzunehmen. Oft herrschen dabei nach wie vor Stereotype vor und es wird davon ausgegangen, dass Männer und Frauen eben 'unterschiedlich' bemuttern bzw. bevatern würden (interessant, dass es letzteren Ausdruck im Deutschen nach wie vor nicht gibt und dass wir auch kein Äquivalent für das englische Wort „parenting“ besitzen) – nach dem Motto, Papi ist für das wilde Herumtollen zuständig und Mami für das Schmusen danach – doch auch hier setzt sich in manchen Foren ein zaghaftes Umdenken durch. Der Unterschied zwischen Mainstream- und eher alternativen bzw. linken Medien ist hier in der Regel natürlich groß.

Im vergangenen Jahr war es vor allem die #aufschrei-Debatte rund um Sexismus, die vielen Menschen die Augen für fortdauernde, geschlechterspezifische Diskriminierungen geöffnet hat.


In unserer Pressearbeit nähern wir uns dem Thema „Männer in Kitas“ aus gleichstellungspolitischer Perspektive und wollen dazu beitragen, vielfältige Geschlechterbilder in die Gesellschaft zu transportieren und veraltete Geschlechterbilder infrage zu stellen. Dabei findet unsere Pressearbeit immer im Spagat zwischen Gendersensiblität und Nachrichtenwerten statt. Nehmen Sie die Verarbeitung männerpolitischer Themen, wie dem unseren, auch als so widersprüchlich wahr?


Sonja Eismann: Ja, absolut. Es gibt offensichtlich in den großen Medien, die ja alle von Männern dominiert sind, eine große Angst vor einer Vermischung bzw. Auflösung der Geschlechterrollen. Das lässt sich stets sehr gut am Umgang mit Trans-Themen ablesen – wenn transsexuelle Männer Kinder gebären, sind die Medien immer völlig aus dem Häuschen und fühlen sich in ihrer binären Geschlechtermatrix bedroht. Das Gleiche gilt für die Rollenzuschreibungen zwischen Männern und Frauen: ein gewisser Modernisierungsschub ist gewünscht, um ein ausgeglicheneres und gerechteres, inklusiveres Klima herzustellen, von dem ja alle profitieren. Es herrscht aber eine riesige Panik davor, was wohl passieren würde, wenn wir alle das Terrain des angelernten Wissens über Geschlecht, das als Gewissheit ausgegeben werden soll, verließen. Bis einer Auflösung starrer Vorstellungen dazu, wie Männlichkeit und Weiblichkeit denn auszusehen habe, neugierig und gelassen begegnet wird, dauert es leider wohl doch noch eine Weile.


Können Sie uns einen Tipp geben, wie wir unser Thema so aufbereiten können, dass wir mediale Aufmerksamkeit erzielen und gleichzeitig Geschlechterstereotype abbauen?


Sonja Eismann: Darauf hinzuweisen, dass wir ja alle davon profitieren, wenn wir ganz nach Lust und Inklination unabhängig von unserem Geburtsgeschlecht verschiedene Rollen einnehmen können, halte ich für produktiv – und auch darauf, dass es auch ganz konkret Männer 'nützt', wenn sie nicht nur stereotyp 'männliche' Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Erfolgsorientierung, Härte oder was auch immer, sondern auch stereotyp 'weibliche' wie Fürsorglichkeit etc. unsanktioniert ausleben können.

Außerdem würde es wohl nützen, wenn die Wertigkeit von erzieherischen Berufen, die ja bekanntlich durch ihre Assoziation mit Weiblichkeit in unserer Gesellschaft relativ gering geschätzt sind, stärker betont würde und durch Fakten untermauert würde. Ein Eintreten für eine bessere Bezahlung für ErzieherInnen würde dem sicherlich auch entgegenkommen – und zwar nicht deswegen, um mehr Männer in diesen Beruf zu locken, sondern ganz einfach, um diese verantwortungsvolle und gesellschaftlich so wichtige Tätigkeit angemessen zu honorieren.

Chris Köver: Ich würde sagen, die Gründe dafür, dass die Darstellung so widersprüchlich ist, sind die gleichen, die etwa auch dafür sorgen, dass rassistische oder anderweitig diskriminierende Darstellungen in den Medien auftauchen. Die Autorinnen und die Menschen an den entsprechenden redaktionellen Schaltstellen sind oft einfach nicht ausreichend für Themen wie Sexismus, Rassismus usw. sensibilisiert – und sich daher auch nicht bewusst, wie sie mit ihrem Schreiben zur Fortschreibung dieser Sexismen und Rassismen beitragen.

Sie selbst als „Berichterstattungsobjekt“ können hier nur schwer dagegen steuern, eigentlich ist das eher ein Versagen der MedienmacherInnen, die sich diese Kompetenzen dringend aneignen müssen. Wenn sie Interviews geben, haben sie immer das Mittel, sich ihre Antworten und O-Töne zur Autorisierung vorlegen zu lassen. Fertige Artikel werden ihnen seriöse JournalistInnen sicher nicht vorab zu lesen geben. Hier würde ich dazu raten, in der Begegnung mit der Presse das Thema Stereotypisierung anzusprechen und zu erklären, warum sie es kontraproduktiv finden, wenn stereotype Zitate in den Vordergrund gestellt werden.

Und noch ein Blick in die Zukunft: Welche genderpolitischen Themen werden bei Journalist/innen in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agenda stehen?


Sonja Eismann: Ich glaube, Sexismus und Lohngerechtigkeit werden uns als Themen (leider, muss ich hier sagen) noch eine Weile begleiten. Aber die Frage nach einer gerechten Arbeitsverteilung innerhalb von Familien sowie die Frage nach der „emotionalen Arbeit“ - also Sorgearbeit und affektive Arbeit – wird meiner Meinung nach immer virulenter werden. Außerdem würde ich mir wünschen, dass sich eine Vorstellung von Vielfalt durchsetzt, die nicht mehr davon ausgeht, dass Familie bedeutet „Vater Mutter Kind Kind“, sondern dass auch alternative Formen des Zusammenlebens ganz selbstverständlich und vorbehaltlos widergespiegelt werden und dass es zwischen „Mann“ und „Frau“ noch sehr viel Raum für andere Identitäten gibt.

Chris Köver: Ich denke, eine der größten Herausforderungen derzeit besteht darin, in einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer rechtlich bereits gleichgestellt sind, dafür zu sorgen, dass einschränkende Genderstereotype auch faktisch keine Rolle mehr spielen, dass sich also alle Menschen ungeachtet des ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlechts entsprechend ihrer Veranlagungen und Interessen entfalten können und gefördert werden. Diese sehr tief verankerten Bilder zur verrücken, wird uns noch viel Zeit und Energie kosten und ist wesentlich komplizierter als das Erstreiten von gesetzlich verankerten Rechten – weil diese Kämpfe nicht auf der Straße gewonnen werden können. Unser Ansatz im Missy Magazine ist ähnlich dem, den sie scheinbar schon verfolgen: Durch das Zeigen von Positivbespielen für eine Normalisierung zu sorgen. Also Frauen, für gerne Programmieren oder Schlagzeugspielen oder Männer, die sich fürsorglich zeigen – und dabei eine Vorbildposition einnehmen. Das demonstriert, dass bestimmte Eigenschaften oder Interessen, anders als gemeinhin angenommen – nicht an das Geschlecht geknüpft sind und schafft so hoffentlich mehr Freiheit für alle.

Eine der weiteren großen Herausforderungen besteht darin, den Blick zu weiten auf eine intersektionale Perspektive und nicht nur darauf zu blicken, wie Geschlechtsstereotype wirken, sondern wie andere Kategorien wie „Race“, Klasse, Bildungsgrad oder Religion mit hineinspielen. Ein junger Mann aus einer arabischstämmigen muslimisch geprägten Familie wird mit anderen Stereotypen von Männlichkeit konfrontiert als ein deutschstämmiger Akademikersohn, ein schwuler oder transsexueller Mann mit anderen als ein Heterosexueller usw. Diese Kategorien zusammen zu denken, anzuerkennen, dass nicht alle im gleichen Boot sitzen und dennoch gemeinsame Allianzen zu bilden, ist im Moment die vielleicht größte Herausforderung.


Vielen Dank für das Interview