Tandem-Studie

„... Das Geschlecht spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn die Fachkräfte besonders authentisch auftreten und intuitiv handeln ...", so Prof. Dr. Holger Brandes, Leiter des „Tandem-Projektes" an der evangelischen Hochschule Dresden, Deutschland.

Foto: Holger Brandes (privat).

Herr Brandes, Sie sind vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragt worden, mögliche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten von Erziehern und Erzieherinnen in ihrer Arbeit mit Kinder zu untersuchen. Können Sie auf Grundlage Ihrer Ergebnisse schon sagen, welche Auswirkungen (männliche) Erzieher in Kitas haben?

Wir haben Erzieherinnen und Erzieher in für den Kita-Alltag typischen Situationen (jeweils mit einem Kind sowie gemeinsam mit einer Kindergruppe) gefilmt und dieses Material nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisch ausgewertet. Diese Auswertung ist noch nicht abgeschlossen, aber zwei Aussagen lassen sich beim gegenwärtigen Stand schon machen: Unter fachlichen Gesichtspunkten (z.B. Feinfühligkeit, Herausforderung, dialogische Qualität der Interaktion, Aufgreifen der Interessen und Initiativen des Kindes) unterscheiden sich in unserer Stichprobe die Erzieherinnen und Erzieher kaum. Es gibt zwar kleinere und durchaus bemerkenswerte Unterschiede in Detailaspekten, aber insgesamt kann man sagen, dass die Männer hinsichtlich der pädagogischen Qualität ihrer Arbeit mit Kindern den Frauen in Nichts nachstehen.

Sie sind aber auch nicht die pädagogischen "Heilsbringer" oder "Supertypen", als die sie in manchen Presseverlautbarungen auftauchen. Obwohl das Geschlecht unter pädagogisch-fachlichen Gesichtspunkten keine oder eine untergeordnete Rolle spielt, heißt das aber noch nicht, dass es keinen Unterschied machen würde, ob sich ein Mann oder eine Frau mit den Kindern beschäftigt.

Diesen Unterschied können wir an Schlüsselszenen aus unserem Material belegen, wobei interessant ist, dass das Geschlecht insbesondere dann eine Rolle spielt und die Interaktionen beeinflusst, wenn die Fachkräfte besonders authentisch auftreten und intuitiv (und damit weniger fachlich-reflektiert) handeln.

Und dies wird besonders in den Gruppenkonstellationen deutlich, wo Mädchen und Jungen, sowie Erzieher und Erzieherinnen aufeinandertreffen. Im Vergleich zwischen Mann/Frau-Tandems gegenüber Frau/Frau-Tandems zeigen sich hier Unterschiede, die vermutlich für die Entwicklung von Kindern beiderlei Geschlechts (und nicht nur die Jungen) von Bedeutung sind.

Hier stecken wir aber noch mitten in der Auswertung und ich hoffe, dass wir im September unsere Erkenntnisse differenzierter und mit Beispielen unterlegt darstellen können.

Was müsste aus Ihrer Sicht im Bereich der Forschung aber auch in der Praxis in den nächsten Jahren passieren, damit das Thema "Männer in Kitas" in Deutschland auch in Zukunft vorangetrieben wird?

Im Bereich der Forschung wäre es günstig, wenn man die Ergebnisse unserer Studie, die noch auf einer relativ kleinen Stichprobe von 21 Männern und 41 Frauen basiert, erweitern und unsere Ergebnisse überprüfen und weiter differenzieren könnte. Im Bereich der Praxis scheint es mir notwendig, das derzeitige Modellprojekt gründlich zu evaluieren, d.h. die Ergebnisse und Erfahrungen auszuwerten und dann zu überlegen, wie man diesen Ansatz dauerhaft verfolgen kann.

Was glauben Sie, wie werden die Menschen in 10 Jahren über (männliche) Erzieher denken und reden? Werden (männliche) Erzieher eine gesellschaftliche Normalität darstellen oder werden sie immer noch als Exoten betrachtet?

Ich bin sicher, dass der Exoten-Status verschwinden wird, wenn es zur Normalität geworden ist, Männer als pädagogische Fachkräfte in Kitas anzutreffen. Etwa so, wie es heute als völlig normal und positiv wahrgenommen wird, wenn ein junger Vater nach Geburt des Kindes zumindest einen Teil der Elternzeit wahrnimmt und z.B. mit dem Kinderwagen oder dem Tragetuch durch die Stadt geht oder beim "Mutter-Kind-Schwimmen" auftaucht.

Aber ob wir den Männeranteil in Kitas nachhaltig erhöhen und die europäischen Zielmargen erreichen, ist sicher von gesellschaftlichen Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen abhängig. Sicher auch davon, ob der Beruf des Erziehers bzw. der Erzieherin aufgewertet wird und dies sowohl hinsichtlich der Entlohnung als auch der Rahmenbedingungen der Arbeit.

Bislang ist noch zu wenig ins Alltagsbewusstsein vorgedrungen, dass dies eine pädagogisch höchst anspruchsvolle und für die Zukunftsperspektiven von Regionen und der Gesellschaft insgesamt höchst bedeutsame Tätigkeit ist - auch wenn sie sich nicht in Patenten und Börsenkursen niederschlägt.

Hier eine klare Zukunftsperspektive auszumachen, fällt mir schwer. Dies hängt auch vom Mut der Politikerinnen und Politiker ab, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen und in Erziehung und sozialwissenschaftliche Forschung mehr zu investieren als nur das Nötigste.

Vielen Dank für das Interview!