„Die Tandemstudie hilft, eine Forschungslücke zu füllen“.

Die Redaktion im Interview mit Prof. Dr. Holger Brandes

Foto: Prof. Dr. Brandes (privat)

Wir haben Prof. Dr. Holger Brandes zu den Ergebnissen der „Tandemstudie – ein Forschungsprojekt zu Frauen und Männern in der Elementarpädagogik“ (November 2010 bis Mai 2014) befragt. Diese Studie untersucht und vergleicht das Verhalten von männlichen und weiblichen Kitafachkräften in alltagsnahen pädagogischen Situationen. Prof. Dr. Holger Brandes ist Rektor der Evangelischen Hochschule Dresden und hat mit Markus Andrä, Wenke Röseler und Petra Schneider-Andrich die Tandemstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführt.


Die Tandemstudie ist nun abgeschlossen und Sie sind auf vielen Veranstaltungen eingeladen, um über die Ergebnisse zu referieren. Wie erklären Sie sich das große Interesse an den Ergebnissen Ihrer Studie?


In der Tat ist das Interesse an dieser Studie und ihren Ergebnissen hier wie auch im Ausland bemerkenswert. In Deutschland hat das Interesse von Fachkräften wie auch vonseiten der Medien und der Öffentlichkeit in erster Linie mit den Modellprojekten und der Kampagne des BMFSFJ für mehr Männer in Kitas zu tun. Bei der Fachpresse und unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geht die Resonanz darauf zurück, dass es bisher weder in Deutschland noch international empirische Studien zum Kitabereich gibt, die in nennenswertem Umfang männliche Fachkräfte einbeziehen. Es gibt also keine auf wissenschaftlichen Methoden basierenden Aussagen darüber, ob und wie sich männliche und weibliche Fachkräfte Kindern gegenüber in ihrem pädagogischen Verhalten unterscheiden. Hier haben wir es mit einer deutlichen Forschungslücke zu tun, die die in unserer Studie gewonnenen Erkenntnisse nun füllen helfen. Auf der Grundlage einer Stichprobe mit insgesamt 41 Männern und 65 Frauen und einem anspruchsvollen, mehrere Methoden einschließenden Forschungsansatz erlaubt sie erstmals begründete und auch differenzierte Aussagen zu diesem Thema.


Sie werden auch auf unserer Frühjahrskonferenz die abschließenden Ergebnisse der Studie vorstellen. Was hat Sie an den Ergebnissen persönlich am meisten überrascht?


Überraschend ist vielleicht, zumindest wenn man gängige Vorurteile über Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen zugrunde legt, wie wenig sich die männlichen und weiblichen Fachkräfte in unserer Stichprobe in ihrem pädagogischen Handeln unterscheiden. Zumindest gilt dies für die Art und Weise, wie sie mit den Kindern umgehen. Hinsichtlich der Frage, was sie mit den Kindern machen, gibt es aber einige bemerkenswerte Unterschiede. Die männlichen Fachkräfte nehmen zum Teil andere Themen auf und greifen zu anderen Materialien als die weiblichen. Nicht vorhersehbar war auch, dass die Männer und Frauen unserer Stichprobe in ähnlicher Weise Jungen anders behandeln als Mädchen, sodass letztlich viele Ergebnisse statistisch stärker vom Geschlecht der Kinder beeinflusst sind als vom Geschlecht der Fachkräfte. Alles in allem zeigt sich, dass Männer auch in der Frühpädagogik genauso gut arbeiten wie Frauen (aber auch nicht besser). Männliche Fachkräfte bringen aber andere Impulse ein, wobei ihre Vorlieben für bestimmte Materialien und Themen denen der Jungen ähneln. So entstehen zwischen Mann und Junge z.B. vermehrt Autos oder Bauwerke und es wird eher gebaut als gebastelt. Motivierend war es zu erleben, wie bereitwillig viele Fachkräfte und Leitungen uns unterstützt und an der Untersuchung mitgewirkt haben, obwohl der Aufwand nicht unerheblich war. Wirkliche Enttäuschungen gab es nicht; für alle Beteiligten war es ein spannendes und anregendes Projekt. Besonders erfreulich war zu sehen, wie engagiert die Männer und Frauen mit den Kindern umgehen und wie gut sie sich dabei ergänzen.


Wenn Sie einmal zehn Jahre weiter in die Zukunft schauen – was denken Sie, hat sich bis dahin im Kitafeld weiter getan? Was wünschen Sie sich für die Weiterentwicklung dieses Bereichs?

Wenn man davon ausgeht, dass die Bedeutung von Kindertagesstätten als ein gleichwertiger Teil des Bildungssystems wächst und auch die Ansprüche an das Fachpersonal zunehmen, muss auch die begonnene Akademisierung des frühpädagogischen Personals konsequent weitergeführt werden und Kindheitsforschung muss an den Hochschulen ausgebaut werden. Es wird weiterhin darum gerungen werden müssen, den Anteil von Männern am pädagogischen Personal zu steigern. Dabei wäre mein Wunsch, dass diese pädagogische Tätigkeit als hochwertig und anspruchsvoll anerkannt und auch entsprechend entlohnt wird.


Vielen Dank für das Interview.

 

Auf unserer Frühjahrskonferenz wird Herr Prof. Dr. Holger Brandes erstmals die Endergebnisse der Tandemstudie vorstellen.


Einen weiteren Text von Prof. Dr. Holger Brandes, Markus Andrä, Wenke Röseler und Petra Schneider-Andrich können Sie in unserer im März 2014 erscheinenden Handreichung „Gendersensibel arbeiten in Kindertagesstätten“ nachlesen.
In „MEHR Männer in Kitas – Analysen, Erfahrungen und Strategien“, Hrsg. Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ (2013).

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