Männer unter Verdacht
Das folgende Interview erschien in der Januar-Ausgabe dieses Jahres im Magazin chrismon.
Das Interview führte Christina Holch. Ihr Interviewpartner:
Werner Meyer-Deters, 62, ist Sozialpädagoge und Traumaberater. Er ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung und arbeitet in der Kinderschutzambulanz der Caritas in Bochum.
https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/maenner-unter-verdacht-30789
Uns hat das Interview sehr angesprochen und wir freuen uns, dass wir es mit der Genehmigung aller Beteiligten in unseren Newsletter ein weiteres Mal publizieren können.
chrismon: Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine Kita und sehen einen Erzieher ein Kleinkind wickeln – was denken Sie?
Werner Meyer-Deters: Ich freue mich: ein männlicher Erzieher, der nicht bei den Kindern die fixe Idee prägt, fürs Wickeln seien nur die Frauen zuständig!
Manche Eltern haben aber Vorbehalte gegenüber Erziehern: „Meine Tochter auf dem Schoß eines fremden Mannes – ich frage mich, was einen Mann veranlasst, Kindergärtner zu werden!“
Na, wahrscheinlich hat ein Kindergärtner die gleichen Motive wie eine Kindergärtnerin: Freude an der Erziehung! Und männliche Erzieher sind bedeutsam für Kinder, etwa als Rollenvorbild.
Weil die Kinder sonst denken: Männer sind nichts für Nähe?
Genau, sie denken: Männer sind nicht zuständig für Fürsorge und für den Umgang mit Kleinkindern, wo die Kommunikation ja viel über Berührung läuft. Dann wären wir wieder in den 60er Jahren. Außerdem wiegen sich die Kitas, die Männern körpernahe Tätigkeiten verbieten, in trügerischer Sicherheit. Der Generalverdacht gegenüber Männern ist nämlich gleichzeitig eine Generalamnestie aller Frauen – ich habe aber in meiner Berufslaufbahn auch Kindergärtnerinnen, Mütter, Großmütter, Lehrerinnen, Sporttrainerinnen kennengelernt, die Kinder sexuell missbraucht haben.
Warum guckt man bei Frauen nicht so genau hin?
Ich glaube, das kommt noch. Ich arbeite seit 25 Jahren zum Thema Missbrauch, und in den 80ern gab es nur Mädchen, die missbraucht wurden; dann haben wir verstanden, dass auch Jungen missbraucht werden; später, dass nicht nur erwachsene Männer, sondern auch Jugendliche Kinder missbrauchen; und noch später, dass auch Frauen und Mädchen Kinder missbrauchen.
Eine Mutter erzählte mir, ihre anderthalbjährige Tochter hauche nachts verzückt: „Patrick!“ So heißt ihr Erzieher.
Wie süß! Mein ältester Sohn hatte zu unserer und seiner Freude auch einen männlichen Erzieher, noch dazu einen behinderten Mann, was besonders spannend war, und die Kinder, besonders die fünfjährigen Jungs, klebten wie Trauben an diesem Mann. Weil er sie in besonderer Weise orientieren konnte: Was heißt es eigentlich, ein Mann zu werden, ein Mann zu sein?
Manche Erzieher sind jetzt verunsichert. Sie wollen nicht verdächtigt werden – aber wie soll das gehen, Kindern nicht zu nahe zu kommen? Einer sagt, er nehme Kinder nicht auf den Schoß, die setzten sich einfach auf ihn drauf.
Ja, Kinder haben Vertrauen, sie sind sorglos, und im schlimmsten Fall, wenn ein Mann sexuelle Ambitionen hätte, sind sie auch ahnungslos, weil sie natürlich keine Idee von erwachsener Sexualität haben. Das heißt: Die Verantwortung bleibt beim Erzieher. Er muss mit sich selbst ehrlich sein: „Na, wie geht es mir damit, dass ein Kind mir auf den Schoß springt?“ Und wenn er bei sich spürt, was Männer ja exponierter spüren als Frauen, dass dieser taktile Reiz zu einer Erektion führt, sollte er das Kind sofort, aber mit Ruhe vom Schoß entfernen und solche Situationen in Zukunft vermeiden.
Was ist mit gemeinsamem Baden?
Ich finde es wunderbar, wenn Mütter und Väter mit ihren Kindern baden, aber ich fände es unangemessen, wenn Erzieher oder Erzieherinnen mit Kindern nackt in der Badewanne säßen. Das heißt nicht, dass sie nicht mit den Kindern planschen, sich auch berühren lassen dürfen – aber sie sollten den Kindern klarmachen, dass der genitale Bereich privat ist. Dass man nicht möchte, dass die Kinder einen dort berühren und man seinerseits die Kinder dort auch nicht berührt. Sollte es doch aus Versehen geschehen, dann entschuldigt man sich dafür.
Wie finde ich heraus, wann Körperberührung okay ist und wann nicht?
Ein Beispiel: Toben ist für Kinder schön und wichtig, und gelegentlich sind Erwachsene beteiligt, aber sie sollten sich immer fragen: Dient das dem Kind? Oder ist das eingefärbt, vielleicht sogar dominiert durch eigene emotionale Interessen?
Dann kann man mit Kindern ja gar nicht mehr spontan sein!
Doch, natürlich. Problematisch ist der Impuls, ein Kind zu umarmen, nur, wenn er unlauter ist. Zum Beispiel weil jemand selbst bedürftig ist und Wärme will. Ich kann mich an einen Erzieher erinnern, der Kinder missbrauchte. Den hatte die Kitaleiterin zu Anfang mal gefragt: „Wieso machen Sie eigentlich diese Arbeit hier bei uns?“ Der Erzieher sagte: „Ich komme mit Kindern besser klar, die verstehen mich besser, und ich verstehe die besser als meine Gleichaltrigen.“ Der war nicht gut geerdet, er benutzte Kinder als Ersatz für erwachsene Beziehungen. Die Leiterin war damals etwas irritiert über diese Äußerung, ging aber darüber hinweg. Später fiel ihr dieses Gespräch ein.
Sind nicht immer eigene Bedürfnisse mit im Spiel – etwa wenn mir ein Baby zum Halten in den Arm gedrückt wird, und das hat so runde Füßchen?
Ja, zum Knuddeln.
Die muss man einfach anfassen.
Ja. Aber es gibt Grenzen. Ich hatte neulich eine herzerfrischende ältere Erzieherin in meiner Fortbildung, die wickelte manchmal die Babys in einem Heim für junge Mütter, und dann sind die so süß, wenn sie frisch gebadet sind, und dann hatte sie einmal den Impuls: „Ach, ich knuddele das Kind jetzt mit den Lippen auf den Bauch, so bbbbrrrr.“ Das ist alles in Ordnung! „Und dann“, sagte sie, „dann war mir so danach, dann hab ich das Kind auf den Mund geküsst.“ Da hielt die Gruppe die Luft an, alle guckten mich an: Was sagt der denn jetzt?
Und, was sagten Sie?
Dass das ein besonderes Privileg von Eltern ist. Oder salopp formuliert: Der Schleimhautbereich ist tabu, der ist privat. Und das Spannende war, da ist sie selber drauf gekommen: „Als ich das hier gesagt habe, wurde ich rot. Ich glaube, ich bin rot geworden, weil ich gesagt habe, dass MIR danach war.“ Das heißt, sie hat das fürs Gedeihen so wichtige Bedürfnis von Kindern, geknuddelt zu werden, für einen Moment überspannt. Kein Drama. Jeder macht mal so etwas. Man soll die Kinder ja auch nicht vernachlässigen aus lauter Sorge, man könnte etwas falsch machen. Das wäre eine übertriebene Reaktion.
Was genau wäre eine übertriebene Reaktion?
Zum Beispiel die neue Regel, dass man sich bei einem Heimkind abends nicht auf die Bettkante setzen darf, um ihm gute Nacht zu sagen oder es noch mal zu drücken.
Weil das Bett zum „Intimbereich“ gehört?
Das ist die Begründung. Aber die Beziehung zwischen Kindern und fürsorgenden Erwachsenen – sei es Vater, Mutter oder eine vertraute Erzieherin – ist eine intime Beziehung. Und nur weil eine Beziehung intim ist, ist sie deswegen nicht gleich sexuell und gewalttätig. Beziehung entsteht über Nähe und an Grenzen. Sicher, ein 15-Jähriger hat ein Bedürfnis nach einem großen intimen Terrain, aber wenn es für ein siebenjähriges Kind in Ordnung ist, dann ist diese Nähe statthaft und geboten.
Aber es ist doch sinnvoll, wenn man jetzt klare Regeln aufstellt – nachdem all die Missbrauchsfälle in Institutionen wie Odenwaldschule oder Kloster Ettal bekannt geworden sind.
Eine höhere Sensibilität ist gut, aber angstgesteuerte Reflexe helfen niemandem. Da sagt dann eine Kita: Wir machen überhaupt keine sexualpädagogische Arbeit mehr, das Terrain ist uns zu unsicher.
Gibt es auch Eltern, die überreagieren?
Ein Beispiel: In einem Kindergarten hatte ein Junge ein Mädchen bei Doktorspielen in der Scheide verletzt. Die haben sich untersucht, und der Gegenstand war, ich sage es mal salopp, nicht zertifiziert für Doktorspiele. Die Reaktion der Eltern des Mädchens war: „Dieser Junge hat unsere Tochter sexuell missbraucht.“ Die Erzieherinnen haben sich leider nicht getraut zu sagen: „Gemach! Er hat das Kind verletzt, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass der Fünfjährige Ihre Tochter missbraucht hat. Das sind zwei verschiedene Dinge.“
Sondern, was sagten die Erzieherinnen?
Die sagten: „Wir passen jetzt immer auf den Jungen auf, das wird nie wieder passieren.“ Das Versprechen können sie nicht einhalten. Denn so wie Kinder sich auch manchmal mit Steineschmeißen verletzen, passiert so was auch bei Doktorspielen. Die Erzieherinnen haben nicht mit Augenmaß reagiert. Die Folge war Panik.
Wieso Panik?
Diese Eltern haben, weil sie nicht beruhigt wurden, andere Eltern – Facebook und so weiter – gegen die Leitung des Kindergartens aufgebracht. Flugs wurden Kinder abgemeldet. Die Eltern sagten: „Wir kommen nur wieder, wenn der Junge verschwindet.“ Der kriegte als Fünfjähriger das Täterstigma: Vergewaltiger.
Nicht alles ist Missbrauch, manches ist nur eine Grenzverletzung. Vermutlich kennen auch Sie das aus Ihrer Kindheit, dass man von Erwachsenen geküsst wurde, ob man wollte oder nicht. Nicht alle rochen gut.
Ich erinnere mich lebhaft! Man hat das über sich ergehen lassen. Heute ermuntern wir Kinder zu sagen, wenn ihnen etwas unbehaglich ist. „Kein Küsschen auf Kommando“ ist ja ein Bilderbuch, seit vielen Jahren auf dem Markt, das man auch mit Kindergartenkindern lesen kann.
Was lernen die Kinder da?
Man könnte ein paar wichtigste Regeln formulieren, zum Beispiel: Jedes Kind hat das Recht, Nein zu sagen, wenn es ein Nein-Gefühl hat. Jedes Kind hat das Recht, über seinen eigenen Körper zu bestimmen – Ausnahmen wie Zähneputzen muss man begründen. Und: Geheimnisse, die schlechte Gefühle machen, darf man erzählen. Aber auch diese Regel könnte dazugehören: Geschenke sind umsonst. Wir sind alle anders erzogen worden, nämlich dass wir zu etwas verpflichtet sind, wenn wir ein Geschenk bekommen haben. Damit macht man ein tückisches Einfallstor für Täter auf.
„Sag Nein, geh weg und sprich darüber!“ Mit solchen Slogans will man Mädchen und Jungen stärken, sich selbst zu schützen. Funktioniert das?
Dieser Ansatz überfordert Kinder vollkommen. Es gibt eine Zeichnung (sucht in seinem Laptop), hier: Wir sehen einen Mann und eine Frau, beide sind nackt und liebkosen sich. Wenn wir dieses Bild Kindern von fünf, sechs Jahren zeigen, sagen die: „Oh, Delfine!“
Äh, wo sind hier Delfine?
Ja, Sie sind erwachsen, Sie sehen das nicht. Kinder erkennen in den vielen Strichen einen Delfin. Weil Kinder nur das sehen, was sie kennen. Also kann man Kinder auch nur vor Dingen schützen, die ihnen vertraut und ein Begriff sind. Wenn ein Erwachsener mit seiner Erwachsenensexualität kommt und sagt: „Ich zeig dir mal was Schönes, hast du schon mal einen Penis gesehen?“ Dann sagt ein Kind, das bis dato nicht weiß, dass ein Penis auch bedrohlich sein kann, weil es die Motivlage eines Erwachsenen dabei nicht kennt: „Ja!“ Es kann sich nicht wehren, weil es nicht entschlüsseln kann, was da gerade passiert.
Auch Kinder sind schon sexuelle Wesen. Was genau ist der Unterschied?
Kinder haben tatsächlich eine Sexualität, aber die sieht ganz anders aus als die von Erwachsenen. Die Sexualität in Berührungen, die Kinder untereinander haben oder mit sich selbst, ist nicht primär genital orientiert. Wenn man einem vier-, fünf- oder sechsjährigen Kind sagt: „Erwachsene nehmen sich gegenseitig die Genitalien in den Mund“ – dann würde das Kind sagen: „Iiih, sind die bekloppt, da kommt doch Pipi raus!“ Es liegen Welten zwischen der kindlichen und der erwachsenen Sexualität.
Hilft es denn bei Jugendlichen, sie zum Neinsagen zu ermutigen?
Mit Jugendlichen ab 14 Jahren geht das besser. Aber es gibt immer ein Machtgefälle, Erwachsene sind immer stärker.
Erst recht Pfarrer. Konfirmanden können schlecht zu einem übergriffigen Pfarrer, den sie eigentlich toll finden, sagen: „Geh weg! Lass mich in Frieden!“
Im schlimmsten Fall geißeln sich die Kinder oder Jugendlichen noch selbst: „Wieso habe ich mich nicht gewehrt?“ Man schämt sich. Gerade Jungen denken oft, dass sie versagt haben. Also sagen sie nichts: „Und wer würde mir das überhaupt glauben? Der Pfarrer ist doch sonst so nett!“
„Du bildest dir das ein!“
Genau. Ich wünsche allen Kindern und Jugendlichen, dass sie jemanden haben, dem sie das erzählen können. Oder dass sie sich sagen: „Ich höre nicht auf zu suchen, bis ich jemanden finde, der mich ernst nimmt, der mich tröstet, der mir sagt, dass mein Gefühl richtig ist und dass das Verhalten des Erwachsenen falsch war.“
Erleidet jedes missbrauchte Kind ein Trauma?
Jeder Missbrauch geht an die Seele, der Persönlichkeitskern eines Kindes wird berührt. Ob ein Kind durch einen sexuellen Übergriff aber schwer traumatisiert wird, hängt von mehreren Faktoren ab: In welchem Alter war das, ist das Kind geschützt aufgewachsen und hat gute Abwehrkräfte entwickelt, wie oft war das, welche Person war das, war es eine Vertrauensperson? Und, ganz wichtig: Bekam das Kind Hilfe? Wir wissen heute: Wenn man dem Kind nicht glaubt, ist das ebenso traumatisierend wie der Missbrauch selbst.
Nun missbrauchen nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche . . .
Ja, ein Drittel der Täter und Täterinnen sind jünger als 21, oft sogar unter 14. Ich habe in der Kinderschutzambulanz eine Abteilung zur Behandlung minderjähriger Misshandler aufgebaut. Das ist übrigens eine schöne Arbeit. Das Muster, Kinder zu missbrauchen, entsteht in der Regel in der Pubertät, und man kann verhindern, dass das Muster sich verfestigt. Man kann ihnen einen Weg ebnen, ihre Sexualität sozialkompatibel, wenn ich es mal so ausdrücken darf, ins Leben zu bringen.
Jugendliche haben auch als Gruppenleiter Umgang mit Kindern. Die Christlichen Pfadfinder und Pfadfinderinnen haben da Regeln entwickelt. So soll man zum Beispiel besonders achtsam sein, wenn ein Gruppenleiter oft Spiele im Dunkeln initiiert. Sind Spiele im Dunkeln prinzipiell problematisch?
Nein, viele Kinder lieben zum Beispiel Nachtwanderungen. Aber wenn Kinder etwas nicht mögen, nur die Leitungsperson regt das immer wieder an . . .
Im Dunkeln rumtapsen und tastend Leute erkennen?
Genau. Wenn Gruppenleiter das immer wieder inszenieren, sollte man doch nachfragen: „Ist das pädagogisch geboten? Geht es gerade um deine persönlichen Bedürfnisse, oder dient es den Kindern?“
Jetzt machen die das Ferienlager an einem See, die Kinder springen auch mal nackt rein – was ist dann mit den Betreuern, sind die auch nackt?
Es dient dem Spaß der Kinder und Jugendlichen nicht, dass die Betreuungspersonen sich selber nackt ausziehen. Sie sollten in der Nähe bleiben und das im Blick haben, aber nicht mittun.
Wir reden jetzt nicht mehr über sexuellen Missbrauch, sondern . . .
Wir reden über die Einhaltung der Grenzen zwischen Privatem und Dienstlichem.
Muss man Generationengrenzen achten?
Ja. Denn „Berufsjugendliche“ sind gefährlich. So hat das meine Kollegin Ursula Enders von der Beratungsstelle „Zartbitter“ mal formuliert. Sie meint Erwachsene, die mit den Jugendlichen alles mitmachen, anstatt auch auf Distanz zu den eigenen Affekten zu gehen. Also zu reflektieren: Geht es gerade um mich, um mein Abenteurertum, vielleicht auch mein erotisches Interesse? Dann ist es nicht professionell.
Aber wie soll man jemanden ansprechen, wenn man ein komisches Gefühl hat? Man will ihn ja nicht grundlos verdächtigen.
Genau das hat mich neulich auf einer Fortbildung auch die Hauswirtschaftsleiterin einer Wohngruppe gefragt, die bei einem netten Mitarbeiter ein komisches Gefühl hatte. Ich riet ihr, zusammen mit der Gruppenleiterin den jungen Mann anzusprechen. Sie haben ihn nicht verdächtigt, sondern ihm einfach nur gesagt, was sie gesehen haben: „Du bist immer da, wo die 15-jährige Lisa auch ist. Aber bei uns müssen alle Kinder gleich behandelt werden. Und einmal hast du dem Mädchen ein bisschen zu lang auf den Po geguckt. Sag mal, kann es sein, dass sie dir besonders gut gefällt?“ Er wurde knallrot. Die Gruppenleiterin sagte: „Alles klar, wir nehmen dir nicht übel, dass du sie hübsch findest, dich vielleicht sogar in sie verliebt hast – aber du weißt, das darf niemals ausgelebt werden!“ So hat dieser junge Kollege eine wunderbare Lektion bekommen: dass er seine Affekte im Griff haben muss und dass er gesehen wird.
Was für ein unangenehmes Gespräch!
Ein gewisser Grad an Beschämung lässt sich bei solch einer Konfrontation nicht vermeiden. Und wenn er nicht konfrontiert worden wäre, hätte er sich vielleicht überlegt: „Beim nächsten Einkauf für die Wohngruppe nehme ich nur die Lisa mit, und nach dem Einkaufen gehe ich mit ihr Eis essen, ich will sonst gar nichts, nur mal exklusiv mit ihr zusammen sein.“ Dann wäre schon etwas geschehen. Wenn so was auf den Tisch kommt, wird es bedrohlich für ihn.
Hätten Sie auch einen Rat für einen chrismon-Leser? Der schrieb uns, dass er davon träumte, im Rentenalter ein Haus in einem Neubaugebiet mit einem offenen Garten zu kaufen, um den Kindern dort ein Kleinod mit einem Opa ohne Zeitnot zu bieten. Seine Freunde rieten ihm davon ab, er würde sonst als pädophiler Lüstling verdächtigt.
Ja, das ist der Generalverdacht. Das Verrückte ist: Ich kenne Männer, die genau so vorgegangen sind, dass sie sich, obwohl sie viel Geld hatten, ausgerechnet am sozialen Brennpunkt ein Haus kauften, um dann Kinder zu missbrauchen. Ich kenne aber auch Frauen, die eingesickert sind in Familien als Betreuerin, dann Paten der Kinder von Alleinerziehenden waren . . . Es kann keine absolute Sicherheit geben.
Was soll dieser Mann – Vater von zwei erwachsenen Kindern – denn jetzt tun?
Ich freue mich über jeden, der bereit ist, für Kinder was zu tun! Aber er sollte darüber zum Beispiel das Jugendamt informieren. Und sich begleiten lassen: „Auf was muss ich achten, was ist wichtig, damit es den Kindern bei mir gutgeht, wie beziehe ich die Eltern ein?“ Ich würde keinem Mann und keiner Frau raten, das einfach nur so zu tun, aus Gutmenschentum. Sondern ich rate, sich einbetten zu lassen und sich auch der wohlwollenden Überprüfung auszusetzen. Aber im Prinzip können sich Gemeinden das ja nur wünschen, dass es solche Menschen gibt!
Fakten und Hilfe
Die polizeilich registrierten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch sind zwischen 1997 und 2009 um etwa 30 Prozent gesunken – trotz der gestiegenen Anzeigebereitschaft. Nur etwa ein Viertel der verurteilten Sexualstraftäter sind Pädophile. Die Mehrzahl bevorzugt sexuell Erwachsene, weicht dann aber „ersatzweise“ auf Kinder aus.
Für die Nordkirche hat eine unabhängige Kommission Missbrauchsfälle durch kirchliche Mitarbeiter untersucht (mehr dazu in chrismon plus). Umfassender Schlussbericht hier: kirchegegensexualisiertegewalt.nordkirche.de
Ein offenes Ohr und Unterstützung finden Opfer sexualisierter Gewalt hier:
ekd.de/missbrauch/ ansprechpersonen.html
sowie beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530, beauftragter-missbrauch.de
Suche nach Beratungsstellen im Bundesgebiet: hilfeportal-missbrauch.de
Kampagne des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (viele Infos): kein-raum-fuer-missbrauch.de