„Echt Stark“

Die Redaktion im Interview mit Ute Paul von Strohhalm e.V.

„Echt stark“ ist eine interaktive Wanderausstellung zur Prävention von sexuellem Missbrauch für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren. Die Ausstellung werden wir im Rahmen unserer Frühjahrstagung „Der Blick zurück nach vorn“ (am 8. und 9. Mai 2014 in Berlin) präsentieren. Wir haben Ute Paul von Strohhalm e.V., Fachstelle für Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen, zur Ausstellung interviewt. Ute Paul ist Erzieherin, Sozialpädagogin, Mediatorin und Supervisorin. Seit November 2012 ist sie bei Strohhalm e.V. tätig.  Zuvor war sie viele Jahre als Koordinatorin in der Schule für Erwachsenenbildung e.V. und als Koordinatorin bei der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen e.V. – BIG im Bereich Prävention von häuslicher Gewalt an Grundschulen beschäftigt.

Redaktion: Frau Paul, Sie werden bei unserer Frühjahrstagung Ihre Wanderausstellung „ECHT STARK. Eine interaktive Wanderausstellung zur Prävention von sexuellem Missbrauch“ zeigen. An wen richtet sich die Ausstellung, welche Themen behandelt sie und warum?
Paul: Die interaktive Wanderausstellung „ECHT STARK!“ zur Prävention von sexuellem Missbrauch richtet sich an Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren. Unser flankierendes Konzept umfasst eine Fortbildung für diejenigen pädagogischen Fachkräfte, die Klassen und Kindergruppen beim Ausstellungsbesuch begleiten, sowie einen Elternabend. An sechs Stationen und zwei Trabanten können sich Besucher/innen ganzheitlich, spielerisch und interaktiv mit den wichtigen Präventionsbotschaften auseinandersetzen. Die Themen der sechs Stationen heißen: ‚Körper‘, ,Gefühl‘, ‚Berührungen‘, ‚Neinsagen‘, ‚Geheimnisse‘ und ‚Hilfe‘. Jede Station hat vier Seiten, an denen unterschiedliche Aspekte der jeweiligen Botschaft behandelt werden. Ich möchte das mit Beispielen erklären. Eine wichtige Präventionsbotschaft lautet: ‚Du darfst dir Hilfe holen!‘ An einer Seite dieser Station befinden sich beispielsweise vier Knöpfe und eine Kurbel. Werden alle gleichzeitig betätigt – was einer Person alleine unmöglich ist –, leuchtet eine Lampe auf. Es gibt also Situationen, in denen Hilfe unabdingbar ist; dies ist der Lerneffekt. An einer anderen Seite finden die Besucher/innen eine Hörstation: Auf Knopfdruck erhält man Informationen zu Institutionen, die in Notfällen und bei Problemen angerufen werden können. An der dritten und vierten Seite können Tafeln bewegt und zugeordnet oder Situationen eingeschätzt werden. Ähnlich dieser Station greifen auch die anderen Stationen die Präventionsbotschaften: ‚Vertraue deinem Gefühl!‘, ‚Dein Körper gehört dir!‘, ‚Unterscheide angenehme von unangenehmen Berührungen!‘ und ‚Du hast ein Recht, NEIN zu sagen!‘ auf. So können Kinder in eine Öffnung ‚NEIN‘ hineinrufen und je lauter sie rufen, desto heller leuchtet ein Licht; oder sie können den mit Gewichten bestückten Sorgenmantel anziehen und spüren, wie schwer sich ein schlechtes Geheimnis anfühlt und vieles mehr.

Redaktion: Welche (positiven wie negativen) Erfahrungen haben Sie mit der Ausstellung bisher gemacht?
Paul: Unsere ersten Erfahrungen sind sehr erfreulich: Eltern reagieren erleichtert, dass ihre Kinder zu diesem wichtigen Thema gestärkt und informiert werden. Aus demselben Grund sind auch die Pädagoginnen und Pädagogen froh; sie haben mit „ECHT STARK!“ ein Medium und Unterstützung bei der Bearbeitung dieses Themas. Auch die Kinder beschäftigen sich mit großem Spaß und Interesse mit „ECHT STARK!“. Um das etwas zielgerichteter zu gestalten, haben wir ein Quiz entwickelt, welches beim Besuch mit einer Kindergruppe eingesetzt werden kann. „ECHT STARK!“ wurde vom Präventionsbüro Petze, Kiel, gebaut und erprobt. Wir kannten die Ausstellung von dort und auch wir waren begeistert von dem Konzept. Gleichzeitig bietet „ECHT STARK!“ eine Ergänzung zu unserem Präventionsprogramm, welches so viel nachgefragt ist, dass wir längst nicht alle Anfragen bedienen können. Durch die freundliche finanzielle Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin konnten wir „ECHT STARK!“ vor kurzem erwerben und verleihen die Ausstellung jetzt innerhalb Berlins und Brandenburg.

Redaktion: Die Ausstellung richtet sich an Schüler und Schülerinnen – welche Themen und Aspekte der Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch erachten Sie für den Kitabereich für wichtig? Was empfehlen Sie Kindertagesstätten?
Paul: Die Inhalte und Themen von „ECHT STARK!“ gelten natürlich für alle Kinder, auch für Kitakinder. „ECHT STARK!“ ist jedoch für ältere Kinder konzipiert: Sie müssen etwas lesen können und auch die Abbildungen und Situationen sprechen eher Kinder im Grundschulalter an. Einzelne Kitagruppen haben die Ausstellung allerdings auch schon besucht. Das bedurfte einer intensiveren Betreuung. Die Anleitungen an den einzelnen Stationen müssen beispielsweise vorgelesen werden etc. Ein kleiner inhaltlicher Unterschied ist: Kinder im Grundschulalter wird im Rahmen von Prävention durchaus auf altersangemessene Art erklärt, was sexueller Missbrauch ist. Wir geben ihnen eine altersangemessene Definition. Stärken und informieren wir jüngere Kinder, also Kitakinder, tun wir dies nur durch die Präventionsbotschaften. ‚Dein Körper gehört dir!‘ und ‚Vertraue deinem Gefühl!‘ sind dabei die zentralen Botschaften. Den Begriff ‚sexueller Missbrauch‘ verwenden wir mit dieser Altersstufe noch nicht.

Redaktion: Kürzlich kritisierte Ursula Enders in einem Interview in der taz Präventionsinitiativen, die Kinder bestärken, Nein zu sagen, als unverantwortlich und eine Überforderung der Kinder – wie sehen Sie das?
Paul: Ich sehe das ähnlich. Die Präventionsbotschaft lautet: ‚Du hast das Recht, Nein zu sagen‘. Das bedeutet, Kinder dürfen Nein sagen, sie müssen es aber nicht. Sexueller Missbrauch ist in der Regel eingebettet in eine Dynamik, die selbst für viele Erwachsene schwer zu durchschauen ist. Die Gefühle werden manipuliert, die Unwissenheit ausgenutzt, die Wahrnehmung getäuscht, Kinder werden unter Druck gesetzt etc. In einer solchen Situation ist es für die allermeisten Kinder eine Überforderung, Nein zu sagen. Kinder fühlen sich in der Regel schuldig an den Missbrauchssituationen. Diese Schuldgefühle werden dadurch verstärkt, wenn auf ihnen der Druck lastet, Nein sagen zu müssen. Für den pädagogischen Alltag heißt das, wenn Ihr Kind Sie in einer Konfliktsituation um Hilfe bittet, antworten Sie nicht, warum hast du denn nicht Nein gesagt, sondern Sie unterstützen und loben das Kind, dass es sich Hilfe holt. Und Sie trösten es. Grundsätzlich gilt: Ein Präventionsprogramm sollte Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen wie auch Kinder gleichermaßen einbeziehen. Spricht es nur die Kinder an, wird die alleinige Verantwortung für den Schutz den Kindern zugeschrieben.

Weitere Texte u.a. zum Thema ‚Prävention von sexuellem Missbrauch‘ finden Sie in unserer Anfang Mai erscheinenden Handreichung „Sicherheit gewinnen. Wie Kitas männliche Fachkräfte vor pauschalen Verdächtigungen und Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen können“, in „MEHR Männer in Kitas – Analysen, Erfahrungen und Strategien“, Hrsg. Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ (2013/2014).

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