Geschlecht, Kultur und frühe Kindheit
Yuwei Xu ist Doktorand an der University of Glasgow. Im Rahmen des diesjährigen Austauschtreffens des internationalen Forschungsnetzwerks „Gender Balance“ (Link) befasste er sich mit dem Thema „Geschlecht, Kultur und frühe Kindheit: Eine vergleichende Studie zwischen Schottland, Hongkong und der Volksrepublik China“. Für die Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ stellte er sein Forschungsprojekt vor.
In Ihrer Doktorarbeit beschäftigen Sie sich mit der Frage, ob das Geschlecht die Beziehung zwischen Erzieher/innen und Kindern beeinflusst und, wenn ja, wie sich Vorstellungen von „Kultur“ auf diese Erzieher/in-Kind-Beziehung auswirkt. Können Sie kurz das Forschungsdesign Ihrer Studie skizzieren?
Im Rahmen meiner Doktorarbeit untersuche ich Einstellungen und Handlungsmuster männlicher und weiblicher Fachkräfte sowie Einstellungen von Kindern in Kindertageseinrichtungen in Schottland, Hongkong und China. Mit meiner Arbeit möchte ich dazu beitragen, Forschungslücken im Bereich „Männer in Kitas“ zu schließen. Im Forschungsfeld „Männer in Kitas“ mangelt es weiterhin an vergleichenden interkulturellen Untersuchungen, die das Phänomen der Unterrepräsentanz männlicher Erzieher näher beleuchten. Und auch Studien, die die Perspektiven männlicher und weiblicher Fachkräfte sowie die Perspektiven von Kindern in den Blick nehmen, gibt es nur wenige.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich dazu entschlossen, in meiner Doktorarbeit verschiedene Methoden (Methoden-Triangulation) anzuwenden, um ein möglichst detailliertes Bild von meinem Forschungsfeld zu bekommen.
Ich habe sowohl männliche als auch weibliche Fachkräfte bei der Arbeit beobachtet und diese auch interviewt. Des Weiteren habe ich den Kindern, die von diesen Fachkräften betreut werden, thematische Fragen gestellt und sie gebeten, ihre Antworten in Form von Bildern zu malen.
Meine Feldforschung habe ich gerade erst beendet und werde nun die Daten analysieren und in meiner Doktorarbeit verarbeiten. Ich habe also bisher nur vorläufige Ergebnisse.
Was sind Ihre Erkenntnisse, gibt es Unterschiede in der Erzieher/innen-Kind-Interaktion, die Sie auf das Geschlecht des Erziehenden zurückführen?
Meine bisherigen Forschungsergebnisse machen deutlich, dass die befragten pädagogischen Fachkräfte in China davon ausgehen, dass Männer andere sportliche Aktivitäten anbieten als Frauen. Beispielsweise ist in der Stadt Tianjin, wo ich auch meine Feldforschung durchgeführt habe, die Zahl der männlichen Fachkräfte, die ausschließlich Sport und sportliche Aktivitäten in Kitas anbieten, stark gestiegen. Obwohl noch untersucht werden muss, worin genau der geschlechtstypische Unterschied in den sportlichen Angeboten liegt, scheinen Eltern und Kinder männliche Fachkräfte als Sportlehrer in Kitas besonders zu befürworten.
Die befragten pädagogischen Fachkräfte in Hongkong vertreten ebenfalls die Meinung, wenn auch nicht so stark wie in China, dass männliche Fachkräfte häufiger Sport anbieten sollten als Fürsorgetätigkeiten zu übernehmen. Zudem gibt es bei Eltern wie auch bei pädagogischen Fachkräften die Sorge, dass männliche Fachkräfte nicht in der Lage wären, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen und Fürsorgetätigkeiten zu übernehmen.
In Schottland habe ich zum jetzigen Zeitpunkt der Analyse in den beiden von mir besuchten Einrichtungen keine geschlechtertypischen Handlungsmuster feststellen können. Auch die pädagogischen Fachkräfte betonen, in den Interviews keine geschlechtertypische Aufgabenteilung vorzunehmen – sofern es Unterschiede gibt, werden diese den verschiedenen Persönlichkeiten zugeschrieben, aber nicht einer vermeintlichen Geschlechterpräferenz.
Und welchen Einfluss haben kulturelle Vorstellungen auf Erzieher/innen-Kind-Interaktionen?
In allen drei Ländern haben geschlechtertypische Vorstellungen einen enormen Einfluss auf Gender-Themen. Es ist schwierig, die Ergebnisse auszuwerten, ohne die jeweiligen geschlechtertypischen Vorstellungen und Gesellschaftsordnungen zu reflektieren.
Zum Beispiel sind in der chinesischen Gesellschaft klare Geschlechterrollen vorherrschend, und damit auch klare Vorgaben, wie Männer und Frauen, Jungen und Mädchen sein sollten. Einige der pädagogischen Fachkräfte berichteten mir, sie seien eher streng mit Jungen und einfühlsam gegenüber Mädchen. Wenn ein Junge weine, fordere ihn die pädagogische Fachkraft auf, damit aufzuhören: ‚Du bist ein Junge, du musst mutig und stark sein, um deine Mutter und deine Familie zu schützen, wenn du groß bist.‘ Wenn aber ein Mädchen weine, werde sie von der pädagogischen Fachkraft umarmt und getröstet.
In Hongkong dagegen sind Kitas in der Regel sehr klein, und es gibt auch keinen Spielplatz im Freien (die Grundstücke sind sehr teuer). Kinder haben deshalb kaum Möglichkeiten, im Freien zu spielen oder sportlichen Aktivitäten nachzugehen, und haben dadurch alle Arten von gesundheitlichen Problemen. Daher tendieren Kita-Träger dazu, männliche pädagogische Fachkräfte einzustellen, von denen automatisch angenommen wird, sie seien sportlich. Die Kita-Träger erhoffen sich von den männlichen Fachkräften ein umfangreiches Sportprogramm, um die körperliche Gesundheit der Kinder zu stärken.
In Schottland liegen die beiden von mir besuchten Einrichtungen in sozial benachteiligten Gebieten von Edinburgh. Die meisten Familien und deren Kinder müssen sich mit verschiedenen Problemlagen auseinandersetzten, einschließlich häuslicher Gewalt, die häufig von Männern ausgeht. Daher sollen die in den Einrichtungen beschäftigten männlichen pädagogischen Fachkräfte die Vorbildfunktion von fürsorglichen Männern übernehmen. Andererseits müssen männliche pädagogische Fachkräfte sehr vorsichtig bei Fürsorgetätigkeiten und beim Körperkontakt mit Kindern sein, da die Medien gezielt das Vorurteil verbreiten, Männer, die mit Kindern arbeiten, seien Pädophile.
Wie können Erzieher und Erzieherinnen zusammenarbeiten, um gender- und diversitätssensible Konzepte in Kindertagesstätten einzuführen und umzusetzen?
Das ist ein weites Gebiet, das es noch zu erforschen gilt. Ich würde sagen, es dreht sich nicht alles um Gender, sondern es sind noch viele andere gesellschaftliche Faktoren im Spiel. Es ist gut, wenn Männer und Frauen im Bereich der frühkindlichen Bildung zusammenarbeiten, nicht nur wegen des Geschlechts, sondern um die vielen verschiedenen Persönlichkeiten und Eigenschaften einzubringen. Ich denke, wir müssen aufgeschlossen sein der Frage gegenüber, wie wir Gender herstellen oder eben nicht herstellen („doing“ and „undoing Gender“) und somit Kindern viele verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, ein Mann oder eine Frau zu sein, oder vielleicht einfach nur ein Mensch.
Wie hoch ist der Männeranteil in chinesischen Kindertageseinrichtungen und was wird getan, um ihn zu erhöhen?
Der Anteil der männlichen pädagogischen Fachkräfte in China lag laut amtlicher Statistik 2011/12 bei zwei Prozent. Allerdings scheint es in den vergangenen Jahren einen Anstieg gegeben zu haben, darüber liegen allerdings keine offiziellen Zahlen vor. In einigen Provinzen und Städten haben die lokalen Regierungen eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um den Anteil der männlichen pädagogischen Fachkräfte in Kitas zu erhöhen. So ermöglichte 2010 eine Initiative in der Provinz Jiangsu 300 männlichen Studenten kostenlos das Studium der frühkindlichen Bildung. Im Gegenzug verpflichten sich die Studenten nach ihrem Abschluss, für mindestens fünf Jahre in Kitas in ihrer Heimatstadt zu arbeiten.
Vielen Dank für das Interview!