Ich sehe in unserer Kita, dass der Männeranteil stetig wächst.

Berufsorientierung aus der Sicht einer Erzieherin. Im Interview mit Carolin Flor, Mitarbeiterin der Kita „Knirpsenland“ in Altenburg.

Foto: Uwe Arens. Copyright: Koordinationsstelle "Männer in Kitas".

Zur Person: Carolin Flor, Gruppenerzieherin in der Kita „Knirpsenland“ in Altenburg. Erzieherin seit August 2011.

Anzahl der Erzieher in der Kita: 2 Erzieher, 11 Erzieherinnen und eine Leitung.

Sie haben im Rahmen des ESF-Modellprogramms „MEHR Männer in Kitas“ in Ihrer Kita eine Unterrichtseinheit zum Berufsbild des Erziehers entwickelt. Damit richten Sie sich an 8. und 9. Klassen einer benachbarten Schule. Wie haben die Beteiligten an der Schule auf Ihr Vorhaben reagiert und wie gehen Sie inhaltlich vor?

Seit Dezember 2012 bin ich Projektmitarbeiterin bei dem Projekt “juniorExperten- Kinder brauchen Männer“.

Nach einer intensiven Recherchezeit ist mir schnell bewusst geworden, dass das Klischee „Erzieher ist doch kein Männerberuf“ schon (un)bewusst in der frühen Kindheit vermittelt wird. Und genau an diesem Punkt sollten bzw. müssen bestimmte Impulse gesetzt werden, um eine stetige Veränderung dieser Haltung zu erlangen.

Aus meiner Sicht ist es elementar, den Kindern so früh wie möglich Gender-Kompetenzen zu vermitteln. Aussagen wie zum Beispiel, „na du wirst doch nicht das rote Fahrrad haben wollen, das ist doch nur für Mädchen,“ sollten in unserer heutigen Zeit gar keinen Anklang mehr finden.

Doch leider sieht die Realität anders aus und höchstwahrscheinlich nur, weil die Aufklärung fehlt, sei es Seitens der Eltern, der Kita, der Schule oder anderer für die Berufsorientierung relevante Personengruppen. Viele vermitteln traditionelle Ansichten, welche die Trennung in typische Männer- und Frauenberufe noch unterstützt oder gar erst bei den Jugendlichen hervorruft anstatt sie zu vereinen.

Aufgrund dieser Ansichten war ich von der Idee, mich auf das Thema Berufswahlorientierung innerhalb des Projektes zu konzentrieren, sehr angetan und zugleich gespannt, wie die „Öffentlichkeit“ auf meine Sicht reagiert und agiert. Durchführen wollte ich dies in einem Workshop, in dem ich den Schülern den Beruf des Erziehers näherbringe und zugleich aufzeige, dass auch ein Mann eine wichtige Rolle in diesem Arbeitsfeld spielt.

Um nachhaltige und positive Eindrücke zu hinterlassen, war es uns als Kita wichtig, so realitätsnah wie möglich Impulse zu setzen. Dies war optimal umsetzbar, weil ich selbst aus der Praxis komme, mit einem Mann eine Krippengruppe (0,5 bis 1,5 Jahre) führe und ein zweiter Mann das Kita-Team unterstützt. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, wie langweilig teilweise meine Berufsberatungen waren, welche mit endlosen Reden und Texten zum Lesen überfüllt waren. Diese Erfahrung wollte ich mir zu Nutze machen.

Kurz, knackig und vor allem anschaulich sollte mein erster Workshop an der benachbarten Dietrich Bonhoeffer Realschule sein. Unterstützung erhielt ich von der Berufswahllehrerin Frau Tänzler und der Rektorin Frau Kratzsch, die von Beginn an großes Interesse an dem Workshop zeigten. Sie schafften die Rahmenbedingungen für meinen Workshop innerhalb der Schule und waren bemüht, neben den vielen weiblichen, auch männliche Interessenten zu gewinnen. Nachdem mein Arbeitskollege, Thomas Volkmer, und ich unseren ersten Workshop „Erzieher/in 2.0 – Arbeitsfeld KITA“ durchgeführt hatten, waren die Schüler über die Vielfalt des Berufs und auch über die Rolle des Mannes sehr überrascht. Und auch wenn nicht alle davon überzeugt waren, dass der Erzieherberuf auch für den Mann ein sehr inspirierender Beruf ist, ist es schon ein Erfolg, wenn wir ein paar Schüler erreicht haben.

Die Schule war begeistert von unserem Vortrag und ist davon überzeugt, dass wir jedes Jahr einen Workshop an ihrer Schule zum Thema Erzieher/in veranstalten können. Ein Grund dafür ist die Vielfalt an Methoden, die in diesem Workshop eingebaut sind. Er beinhaltet Videoaufnahmen von unseren zwei männlichen Fachkräften, in denen sie bestimmte Alltagssituationen meistern, die für die Schüler sehr realitätsnah sind und von Lehrfilmen vergangener Zeiten abweichen. Auch schon bestehende Filme werden genutzt, wie zum Beispiel von „Beatboxer Guido“, aus dem Hamburger ESF-Modellprojekt, der einen jungen Erzieher vorstellt, der sein Hobby und Talent  in seinen Arbeitsalltag integrieren kann. Wichtig ist mir auch, dass die Schüler nicht nur Zuhörer sind, sondern auch aktiv werden. Hierfür gibt es ein Warm-up zum Kennenlernen, ein Puzzle, welches sie im Team zusammenfügen müssen und eine kleine Reise in ihre Kita-Zeit, um sie auf das Thema zu Beginn einzustimmen und eventuell zu zeigen, dass die Zeiten sich geändert haben (siehe Beatboxer Guido).

Eine Bereicherung in unserem ersten Workshop war nicht nur die Unterstützung meiner männlichen Kollegen, sondern auch die zweier Auszubildender. Beide Männer befinden sich in der Erzieherausbildung und konnten durch eigene Erfahrungen und Ansichten sehr zum Gelingen des Workshops beitragen. Ihre Anwesenheit war wie eine kleine Brücke zwischen uns ausgelernten Fachkräften und den Schülern, welche gerade in einer wichtigen Lebensphase stecken und entscheiden sollen, in welche berufliche Richtung es gehen soll. Die Schüler konnten sehen, welchen Weg sie gehen müssen, um Erzieher zu werden, nicht nur theoretisch, auch praktisch. Es gab aus jeder Phase ein reales Beispiel.

Sie werden mit der von Ihnen entwickelten Unterrichtseinheit künftig auch an andere Schulen in Thüringen gehen. Welche strukturellen und politischen Rahmenbedingungen können zum Erfolg der Unterrichtseinheit führen?

Sowohl strukturelle als auch politische Rahmenbedingungen liegen sehr nah bei einander. Wir als Kita ziehen in naher Zukunft in Betracht, einen Kooperationsvertrag mit unserer benachbarten Schule zu vereinbaren. Die Kita bietet zum Beispiel Schnuppertage, Workshops und Praktika an und die Schule bereitet Angebote oder Projekte mit Schülern vor, welche bei uns in der Kita durchgeführt werden. Dies wäre auf alle Kitas übertragbar, denn mit dem Einblick in die Praxis lernen die Schüler auch die Bedeutung dieses Berufes kennen und schätzen.

Aber auch in der Politik könnte man meiner Meinung nach bessere Rahmenbedingungen schaffen. Die Vorstellung von Berufen sowie Wege in die Ausbildung sollten meines Erachtens direkt in den Lehrplan aufgenommen werden. Manchen Schülern fehlt das Grundwissen über bestimmte Berufe. Sie müssen aber trotzdem mit 15 Jahren entscheiden, was sie in der Zukunft beruflich interessieren könnte und sich daraufhin bewerben. Die Politik sollte hierfür die Rahmenbedingungen (finanziell, personell) zur Verfügung stellen und die Schule hat dann die Aufgabe, Berufsorientierung und Zukunftsplanung  kreativ, interessant und modern umzusetzen.

Hierbei müsste aber ein Großteil der Lehrkräfte für das Thema der geschlechtsbezogenen Berufs- und Zukunftsplanung sensibilisiert  werden, denn wenn selbst die Lehrerkräfte in typische Frauen- und Männerberufe unterscheiden, dann ist es nicht verwunderlich, dass  Jungen beruflich eher in der Werkstatt und  Mädchen eher in der Kita landen. Und genau das müsste sich ändern. Wie können wir den Jugendlichen von heute einen Vorwurf daraus machen, wenn sie sagen, „Männer die in der Kita arbeiten sind schwul“, wenn sie es von Beginn ihrer Geburt nicht anders hören. Aus eigener Erfahrung muss ich auch leider einsehen, dass die Agentur für Arbeit, die eine essentielle Rolle bei der Berufswahl- und Zukunftsorientierung spielt, teilweise keine zeitgemäße Vorstellung haben. Auch viele der Mitarbeitenden in der Berufsagentur für Arbeit würden einen Gender-Workshop zum Thema geschlechtsbezogene Berufs- und Zukunftsplanung gut tun.

Das ESF-Modellprogramm  „MEHR Männer in Kitas“ läuft nun seit zwei Jahren. Wie beurteilen Sie das Projekt aus der Perspektive einer weiblichen Fachkraft in der Kita?

Das Projekt ist für mich kontinuierlich immer wichtiger geworden, weil ich durch die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Männer in Kitas‘  selbst gemerkt habe, wie wichtig männliche Erzieher für Kinder sind. Dies zeigten mir viele Momente mit meinen zwei Kollegen Thomas und Danny, aber auch mit unseren zahlreichen männlichen Praktikanten. Die Kinder nehmen sie tagtäglich in Anspruch, lassen sich trösten und albern oft mit ihnen rum.

Durch das Projekt schätze ich selbst  vielmehr die Anwesenheit von männlichen Erziehern oder Praktikanten, sei es bezüglich des Umgangs mit den Kindern, aber auch in Bezug auf mein eigenes Team- Verhalten. Männer sind manchmal unkomplizierter und nicht so ängstlich wie weibliche Kolleginnen. Doch so sehr ich das Projekt auch schätze und mich in dieses Thema eingearbeitet habe, weiß ich, dass es noch ein langwieriger Prozess ist, bis es für Männer normal geworden ist, als Erzieher in Kitas zu arbeiten.

Jedoch ist mit unserem Projekt und den zahlreichen anderen Teilprojekten schon der erste große Schritt getan und ich sehe es an unserer Kita, dass der Männeranteil stetig wächst. Sei es an Praktikanten, Bewerbern oder ehrenamtlichen Bürgern. Viele Eltern, mit denen ich ins Gespräch komme, befürworten meine Arbeit und finden es toll, dass wir zwei männliche Erzieher bei uns beschäftigen.

Solche Aussagen zeigen mir, dass das Projekt und meine Arbeit schon etwas bewirkt haben. Auch zukünftig werden wir uns als Kita stetig bemühen, immer einen Schritt nach vorne zu machen.

Wir danken Ihnen für diesen umfassenden Einblick und wünschen Ihnen für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ideen weiterhin viel Erfolg!

Hinweis des Herausgebers: Die Inhalte der Interviews spiegeln nicht immer die genauen Standpunkte der Koordinationsstelle wider.