Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch interkulturell gestalten.

Die Redaktion im Interview mit Parvaneh Djafarzadeh.

In der Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch erweist sich eine interkulturelle Perspektive als wichtig, um Menschen verschiedener Kulturen, Herkünfte, Regionen und Religionen ansprechen und erreichen zu können. Die Koordinationsstelle hat daher Parvaneh Djafarzadeh nach ihrer Herangehensweise an eine interkulturelle Präventionsarbeit befragt. Sie ist  Diplom-Pädagogin, interkulturelle Trainerin und Mitarbeiterin von AMYNA – Institut zur Prävention von sexuellem Missbrauch.

Redaktion: Wo setzen interkulturelle Angebote zur Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch an?

Djafarzadeh: (…)Wenn wir von Prävention von sexuellem Missbrauch sprechen, berühren wir viele verschiedene Ebenen der Erziehung und Wertevermittlung, die kulturell, ethnisch, religiös, regional etc. unterschiedlich ausgeprägt sein können. So setzen wir uns von AMYNA bspw. dafür ein, dass Kinder selbstbewusst und selbstbestimmt eigene Grenzen setzen und Grenzverletzungen von Erwachsenen gegenübertreten können. Damit verstoßen wir möglicherweise gegen Werte wie Höflichkeitsgebot und Respekt vor älteren Menschen, die in vielen Kulturen großgeschrieben werden. Ein anderes Beispiel: Wir treten für eine selbstbestimmte Sexualität ein und versetzen damit unter Umständen diejenigen Eltern in Panik, die Sexualität vor der Ehe nicht gutheißen und diese Botschaft als Einladung zur Freizügigkeit verstehen könnten. In unserer Arbeit mit Fachkräften diskutieren wir u. a. auch solche Beispiele, damit diese eine Haltung dazu entwickeln können, die sie einerseits selbst vertreten können und die andererseits auch von Eltern mit vielfältigen Hintergründen angenommen werden kann.

Redaktion: Wie sieht Ihre Präventionsarbeit konkret aus?

Djafarzadeh: (…) Da viele Fachkräfte im Umgang mit dem Thema ‚sexueller Missbrauch‘ unsicher sind und dazu noch die kulturelle Komponente des Themas mitberücksichtigen wollen, haben sie große Ängste, falsch zu handeln oder Dinge zu sagen, die kulturelle Grenzen überschreiten oder Tabus brechen. In unseren Fortbildungen zur interkulturellen Prävention versuchen wir, Selbstreflexion zu fördern, Unterschiede, die oft als kulturell begründet betrachtet werden und verunsichern, zu beleuchten und zu differenzieren. In unserer Fortbildungsarbeit versuchen wir weiterhin, kulturübergreifende Gemeinsamkeiten zu reflektieren und dadurch den Teilnehmer/innen die Angst, mit Menschen aus anderen Kulturen zu arbeiten, zu nehmen und Unsicherheiten zu bearbeiten. (…) Oft wird den Teilnehmenden in den Fortbildungen klar, dass sie ihre eigenen Werte und Haltungen für allgemeingültig halten. Im Laufe der Fortbildung merken sie, dass es wenig universelle Werte gibt. Die Werte sind so unterschiedlich, wie es die Menschen selbst sind. In der interkulturellen Präventionsarbeit geht es darum, diese Werte mit den Botschaften der Prävention kompatibel zu machen. Wir müssen uns z. B. klar machen, dass Höflichkeit und Freundlichkeit gute Gebote sind. Erwachsene dürfen jedoch diese Gebote nicht missbrauchen und müssen auch Respekt vor den Grenzen der Kinder haben. Wenn Erwachsene sich nicht an die Regeln der Höflichkeit halten, können sie bei Grenzverletzungen auch keine Höflichkeit und keinen Respekt von Kindern erwarten. Auch wenn wir mit Eltern das Thema ‚selbstbestimmte Sexualität‘ besprechen, gilt es, den besorgten Eltern zu vermitteln, dass Selbstbestimmung eine wichtige Komponente der Abgrenzung beinhaltet. Selbstbestimmte Sexualität bedeutet auch: ‚Ich muss nicht die sexuellen Erwartungen von anderen Menschen erfüllen, ich muss mich nicht von anderen Menschen berühren lassen, ich darf über meinen Körper selbst entscheiden, ich darf ‚Stop‘ sagen, wenn jemand meine Grenzen verletzen will.‘ Im Rahmen dieser Prinzipien können Eltern ihre eigenen kulturellen, religiösen oder regionalen Werte ihren Kindern weitergeben. Wichtig ist, dass sie bei ihren an ihre Töchter und Söhne vermittelten Werten auch deren Schutz vor sexueller Gewalt mitbedenken.

Redaktion: Was sind wichtige Aspekte in der interkulturellen Arbeit mit Eltern?

Djafarzadeh: In der Arbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund kommt es viel auf die Haltung an, mit der pädagogische Fachkräfte mit immigrierten Eltern umgehen. Migrant/innen haben empfindliche ‚Antennen‘ und können schnell spüren, ob die Begegnung mit ihnen auf Augenhöhe und wohlwollend ist oder ob versucht wird, sie zu belehren und ihnen zu zeigen, was sie alles falsch machen. (…)Es ist wichtig, von Anfang an zu zeigen, dass in erster Linie das gemeinsame Interesse im Vordergrund steht, nämlich Mädchen und Jungen vor sexueller Gewalt zu schützen. Es ist ebenso wichtig, die elterlichen Sorgen zu verstehen und mit ihnen nach möglichen Lösungen zu suchen (…).

Redaktion: Gibt es etwas, was Kindertagesstätten in ihrer Präventionsarbeit berücksichtigen sollten?

Djafarzadeh: Kitas müssen in ihrer Präventionsarbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund auf deren besondere Verletzbarkeit achten. Die Benachteiligung, die diese Kinder und ihre Familie in der Regel im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang erfahren, wie z. B. rassistische und fremdenfeindliche Erfahrungen, allgemeine Inakzeptanz, Chancenungleichheit, oft auch Armut, können das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen dieser Menschen stark ankratzen. (…) Die Kitas müssen darauf achten, dass in der Einrichtung keine Strukturen herrschen, die zur Benachteiligung dieser Zielgruppe beitragen. Sprich sie müssen die rassistischen Anmerkungen oder Sticheleien unter den Kindern unterbinden und zeigen, dass sie verletzendes Verhalten nicht dulden. (…)Eine wertschätzende Haltung gegenüber diesen Kindern in der Kindertagesstätte kann zu einer Stärkung ihres Sicherheits- und Selbstwertgefühls führen und dazu, dass sie sich akzeptiert und angenommen fühlen.

Das vollständige Interview, in dem Parvaneh Djafarzadeh ihren Ansatz interkultureller Prävention beschreibt, lesen Sie in unserer Anfang Mai erscheinenden Handreichung „Sicherheit gewinnen. Wie Kitas männliche Fachkräfte vor pauschalen Verdächtigungen und Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen können“ (2014). In „MEHR Männer in Kitas – Analysen, Erfahrungen und Strategien“, Hrsg. Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ (2013).

Möchten Sie einen kostenlosen Satz der Handreichungen für die Praxis bestellen?
Bestellformular |  Handreichungen online bestellen