Wie aus Dornröschen ein Dornröser wurde

Im Interview: Angelika Hoppe, Evangelische Kita Sophien in Berlin-Mitte.
Funktion in der Kita: Gruppenerzieherin, Integrationserzieherin.
Erzieherin seit 1996.
Anzahl der Erzieher in der Kita: 3 von 14 Personen.

Foto: Uwe Arens. Copyright: Koordinationsstelle "Männer in Kitas".

Was bedeutet es für Sie als Erzieherin, eine geschlechtersensible Haltung in die Kita zu bringen und welchen Bezug sehen Sie zum Thema „Männer in Kitas“?

Eine geschlechtersensible Haltung ermöglicht mir, mich als Rollenmodell wahr zu nehmen. Ich trage die ganze Geschichte weiblicher Erziehung in den Kindergarten. Es gibt Vorstellungen von dem, was als männlich, oder weiblich angesehen wird. Je mehr ich davon im Kindergarten durch mein Verhalten bestätige, und das tue ich so wie so, desto mehr erfahren auch die Mädchen und Jungen über diese Vorstellungen. Vorstellungen von männlichem, oder weiblichen Verhalten, werden aber nur manchmal den realen Möglichkeiten und Interessen der Mädchen und Jungen gerecht. Es ist also nötig, diese Vorstellungen zu hinterfragen und hilfreich, mein Verhalten zu reflektieren und zu weiten. Vor allem die meist weiblich identifizierten Mädchen können sich dann ein breiteres Spektrum an Verhalten von mir als Vorbild abschauen und sich selbst mit unterschiedlichstem Verhalten als weiblich beweisen und bestätigen. Denn das wollen sie in der Regel. Aber ich stehe ja nicht allein. Wenn die Vielfalt an Rollenangeboten groß ist, können Mädchen und auch Jungen viel davon nehmen. Hier kommen die Männer ins Spiel. Sie fehlen in den Bildungseinrichtungen als Rollenmodell. Sie fehlen in der Vielfalt der Verhaltensmöglichkeiten. Jungen sind auf dieser Ebene spärlich versorgt. Dennoch ist es so, dass Mädchen viel leichter in Jungenrollen schlüpfen können als umgekehrt. Eine Ursache dafür sehe ich darin, dass bestimmtes männliches Verhalten als attraktiver bewertet wird. Bleibt also für beide Geschlechter noch einiges zu tun. Eine geschlechtersensible Haltung hinterfragt die Verknüpfung von Verhalten und biologischem Geschlecht und stereotypenhafte Vorstellungen. Sie sieht das einzelne Mädchen und den einzelnen Jungen mit ihren Möglichkeiten und Interessen. Sie traut ihnen ihren Bildungs- und Entfaltungsweg zu und schafft einen ausgeglichenen Zugang zu Material, zu Spiel-und Bildungsräumen.

Sie haben in Ihrer Kita ein Theaterprojekt durchgeführt, in dem aus Dornröschen ein Dornröser wurde. Wie kam es dazu?

In meiner Abteilung des Kindergartens wird traditionell ein halbjähriges Projekt mit einer Theateraufführung abgeschlossen. Das Projekt des letzten Jahres war „Mädchen und Jungen im Märchen“. Angeregt war das Projekt dadurch, dass unser Kindergarten Modellkindergarten im Projekt „Männer in die Kitas“ geworden ist. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, dem Thema im Team, mit den Vätern, Müttern mit den Mädchen und Jungen näher zu kommen und den Fokus mit den Kindern auf das Hinterfragen von Stereotypen gesetzt. Dazu haben wir den Mädchen und Jungen u. a. einige grimmsche Märchen vorgestellt, die starke stereotypenhafte Identifikationsfiguren beschreiben. Die Mädchen und Jungen lieben diese Geschichten wegen ihrer Eindeutigkeit. Irgendwann stand zur Diskussion, ob ein Märchen die Grundlage für unsere Theateraufführung bieten kann. Die Mädchen und Jungen wählten „Dornröschen“ aus. Während der Proben spielten die Mädchen und Jungen mit den unterschiedlichsten Rollen und Identifizierungen. Da und auch bei der Auswahl für die Aufführung war zu beobachten, dass die Mädchen und Jungen, gemäß ihrer Entwicklung, die Rollen gern ihrem biologischen Geschlecht entsprechend besetzt haben. Durch die Auseinandersetzung mit dem Gender-Thema wurden wir angeregt, die stereotypenhaften Rollen einfach umzudrehen und mit den Jungen und Mädchen darüber zu sprechen, ob z.B. Dornröschen immer ein Mädchen sein muss, oder ob immer ein Prinz die Prinzessin erlösen muss. Wir konnten so eine Metaebene schaffen, von der aus stereotypisches Verhalten hinterfragt wurde. Dieses Hinterfragen hat dann letztlich dazu geführt, dass ein Junge, sich die Rolle des Dornrösers erobert hat. Der Name „Dornröser“ ist in diesem Zusammenhang sprachlich eigentlich ganz logisch.

Wie würden Sie die Märchen „Rapunzel“, „Aschenputtel“ und „Hans im Glück“ „übersetzen“?

Rapunzhold, Aschenputter (auch zu finden in den Quellen zu E. Drewermanns tiefenpsychologischer Märchendeutungen, wonach Aschenputter in Siebenbürgen am Aschermittwoch Asche über die Menschen streuten), Grete im Glück u.s.w.

Das Projekt  „MEHR Männer in Kitas“ läuft nun seit zwei Jahren. Wie beurteilen Sie das Projekt aus der Perspektive einer weiblichen Fachkraft in der Kita?

Meine Kolleginnen und Kollegen und ich konnten unseren Blick zu dem Thema geschlechtsbewusste Pädagogik schärfen. Wir haben Fortbildung erhalten und die Thematik in die Elternarbeit einfließen lassen. Auch Erzieherinnen wurden eingeladen, das Projekt mitzugestalten. Die Anfragen und Anregungen aus der Praxis wurden immer aufgenommen. Die Projektbeauftragten sind überzeugend und prozessorientiert. Die Öffentlichkeitsarbeit ist ansprechend, die Strukturen zum Kinderschutz in den Kindergärten werden überdacht. Auch die Arbeit zum Generalverdacht, sich Vorurteile bewusst zu machen, halte ich für einen nötigen Schritt, um Männern den Weg in die Kitas zu ermöglichen. Wenn ich die Bedürfnisse der Mädchen und Jungen ernst nehme, bedeutet das, dass ich das Projekt für einen guten Weg halte, nötige neue pädagogische Möglichkeiten in die Gesellschaft hineinzutragen. In Zukunft bedarf es dann hoffentlich bald der Entwicklung guter Konzepte für eine konstruktive Kultur der Zusammenarbeit von Männern und Frauen in den Kindergärten. Ich freue mich immer, wenn die Arbeit in Kindergärten Öffentlichkeit erhält.

Wir danken Ihnen für diesen umfassenden Einblick und wünschen Ihnen für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ideen weiterhin viel Erfolg!

Hinweis des Herausgebers: Die Inhalte der Interviews spiegeln nicht immer die genauen Standpunkte der Koordinationsstelle wider.