Im Dialog

Gender zwischen Forschung, Expertentum und Praxis

In der Doppelfunktion von feministischen Geschlechterforscherinnen und Geschlechterforschern einerseits sowie Gender Experten und Expertinnen andererseits werden wir als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ seit 2010 aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Als vermittelnde und begleitende Institution haben wir es uns zur  Aufgabe gemacht, im Dialog mit Akteurinnen und Akteuren des ‚Berufsfeldes Kindertageseinrichtung‘ die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus unseren Forschungsprojekten „Gender Loops“ (Krabel/Cremers 2008, Krabel et al. 2008) und „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“ (Cremers et al. 2010) in die Praxis umzusetzen und mit einer geschlechtersensiblen Öffentlichkeitsarbeit zu verbinden (vgl. Schulte 2012, 2013).
Sowohl auf der politischen als auch auf der pädagogischen Ebene ist für uns eine tatsächliche Gleichstellung und Gleichberechtigung ein vorrangiges Ziel, und wir sehen in der Überwindung der bestehenden hierarchischen Geschlechterordnung (vgl. zum Begriff u.a.  Pfau-Effinger 2000) entlang des „zweigeschlechtlichen Klassifizierens“ (vgl. u.a. Andresen 2003, S. 33) eine notwendige Voraussetzung dieses Ziel zu erreichen  (vgl. u.a. Cremers et al. 2010,2012; Cremers/Krabel 2013). Wir positionieren uns nicht nur eindeutig gegen Versuche einer Re-Etablierung traditioneller Geschlechterverhältnisse, sondern auch gegen einen verkürzten Blick in dem aktuell geführten ‚Jungenbenachteiligungsdiskurs‘, in dem Männer, ob nun in Gestalt eines Vaters, Erziehers oder Grundschullehrers auf den Plan gerufen werden, um die ‚armen Jungen’zu retten. (Cremers/Krabel 2012,2013).

Von der Schwierigkeit des Wissenstransfers aus der Geschlechterforschung in die Gesellschaft

Allerdings mussten und wollten wir in unserer Arbeit von Beginn an einer Problematik gerecht werden, die seit einigen Jahren in der Fachdebatte unter dem Begriff Geschlechter-Wissen diskutiert wird und sich vereinfacht gesagt mit der Schwierigkeit des Wissenstransfers aus der Geschlechterforschung in die Gesellschaft befasst. Die Schwierigkeit und Herausforderung liegt unter anderem darin, dass unterschiedliche Gesellschaftsmitglieder bzw. ganze Gesellschaftsgruppen nicht nur teilweise sehr Unterschiedliches über die Geschlechter wissen, sondern sie halten auch „Unterschiedliches für wissenswert und orientieren sich bei der Beurteilung dessen, was für sie wissenswert und glaubwürdig ist, offenkundig an je eigenen ‚Gütekriterien‘“(Wetterer 2009, S. 46). In ihrem Artikel ‚Gleichstellungspolitik im Spannungsfeld unterschiedlicher Spielarten von Geschlechterwissen‘ bezieht sich Angelika Wetterer auf „Gender-ExpertInnen, feministische TheoretikerInnen, und die Frauen (und Männer) auf der Straße“ (ebd.). Sie merkt kritisch an, dass „Einsichten der Geschlechterforschung […] aus Sicht der ‚normalen‘ Gesellschaftsmitglieder oft alles andere als plausibel und keineswegs nur aus terminologischen Gründen ein Buch mit sieben Siegeln [sind]“ (ebd.). Insofern „die Unterschiede zwischen Alltagswissen, Gender-ExpertInnenwissen und wissenschaftlichen Geschlechterwissen überhaupt thematisiert werden, geschieht dies vielfach im Rahmen einer stillschweigenden, weil als selbstverständlich geltenden Hierarchisierung des Wissens, der zufolge wissenschaftliches Wissen die profundesten Einsichten vermittelt und gutes ExpertInnenwissen sich dadurch auszeichnet, dass es diese Einsichten ‚aufgreift‘, sie in der Praxis ‚anwendet‘ und in die Sprache des Alltags ‚übersetzt‘, damit dann auch die Frau auf der Straße oder das Management im Betrieb von ihnen profitieren kann“ (ebd. S. 46). Diese Sichtweise würde aber einer Hierarchie des Besser-Wissens und damit einer Kommunikations- und Austauschform folgen, die nicht dem Dialog und/oder der Interaktion, sondern der Belehrung entspricht (vgl. ebd.).

Um nun also in unserer Arbeit Belehrungsszenarien und/oder Vermittlungsschwierigkeiten zwischen unterschiedlichen Wissens-Qualitäten zu vermeiden, galt für uns als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Koordinationsstelle die Prämisse, mögliche Strategien zur Erhöhung des Männeranteils in Kindertageseinrichtungen und die Implementierung von geschlechtergerechter Pädagogik in einem gemeinsamen Dialog mit den beteiligten politischen Akteur(en)/innen, Trägerverantwortlichen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der 16 ESF-Modellprojekte „MEHR Männer in Kitas“ partizipativ-begleitend zu entwickeln. In dieser konkreten Zusammenarbeit sind viele verschiedene Ideen und Strategien gemeinsam entwickelt und umgesetzt worden, die nun in 8 verschiedenen Handreichungen zu praxisrelevanten Handlungsfeldern zusammengefasst und veröffentlicht werden. Exemplarisch für diese sensible und partizipative Haltung und Herangehensweise unserer Arbeit steht der Beitrag „So fange ich an“ von Tim Rohrmann in dieser Ausgabe unseres Newsletters. Er ist bereits im Jahr 2008 im Rahmen des Projekts Gender Loops im Praxisbuch für eine geschlechterbewusste und  gerechte Kindertageseinrichtung erschienen. Exemplarisch für  mögliche Vermittlungsprobleme zwischen Gender-Expertinnen/Experten und Erziehern/Erzieherinnen steht das Interview mit Claudia Wallner im vorliegenden Newsletter, die in der ‚vermeintlichen Geschlechterneutralität‘ eines der größten Probleme und Herausforderungen bei der Vermittlung von Genderkompetenzen in der Zusammenarbeit mit Erzieherinnen und Erziehern sieht.

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Der Begriff des Geschlechter-Wissens ist 2003 von Sünne Andresen, Irene Dölling und Christoph Kimmerle in ihrem Buch Verwaltungsmodernisierung als soziale Praxis. Geschlechter-Wissen und Organisationsverständnis von Reformakteuren in den Fachdiskurs eingeführt worden. Christoph Kimmerle ist als Dozent an der Fachschule für Sozialpädagogik des Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin beschäftigt und wird im Rahmen unserer Frühlingskonferenz unsere Handreichung zum Thema Gender in der Praxis kommentieren.

Zum Nachlesen:


Andresen Sünne 2003: Moderne Organisationen als Institutionen der Vergeschlechtlichung: Organisations- und gendertheoretische Grundlagen; in: Andresen Sünne, Dölling, Irene, Kimmerle, Christoph 2003: Verwaltungsmodernisierung als soziale Praxis. Geschlechter-Wissen und Organisationsverständnis von Reformakteuren. Opladen: Leske + Budrich, S. 33-60

Andresen Sünne, Dölling, Irene, Kimmerle, Christoph 2003: Verwaltungsmodernisierung als soziale Praxis. Opladen: Leske + Budrich

Buschmeyer, Anna 2013: Zwischen Vorbild und Verdacht. Wie Männer im Erzieherberuf Männlichkeit konstruieren. Wiesbaden: Springer VS.

Cremers, Michael/Krabel, Jens (2012): Männer-Quoten in Care-Bereichen. In: Hurrelmann, Klaus/Schultz, Tanev (Hg.): Jungen als Bildungsverlierer. Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen? Weinheim: Beltz. S. 78-101.

Cremers, Michael/Krabel, Jens (2013): Was sollen Männer in Kitas? Soziale Arbeit Kontrovers (SAK) 3. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. Berlin: Lambertus.

Cremers, Michael/Krabel, Jens/Calmbach, Marc/Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2010): Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Studie zur Situation von Männern in Kindertagesstätten und in der Ausbildung zum Erzieher. Berlin: BMFSFJ.

Cremers, Michael/Höyng, Stephan/Krabel, Jens/Rohrmann, Tim (Hg.) (2012): Männer in Kitas. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Dölling, Irene 2007: ‚Geschlechter-Wissen‘ - ein nützlicher Begriff für die ‚verstehende‘ Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen? In: Gildemeister, Regine, Wetterer, Angelika (Hrsg.): Erosion oder Reproduktion geschlechtlicher Differenzierungen? Widersprüchliche Entwicklungen in professionalisierten Berufsfeldern und Organisationen. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 9-31
 
Krabel, Jens/Cremers, Michael (Hg.) (2008a): Gender Loops. Praxisbuch für eine geschlechterbewusste und  gerechte Kindertageseinrichtung. Berlin: Dissens e.V.
http:// www.koordination-maennerinkitas.de/uploads/media/Gender_Loops_Praxisbuch_03.pdf
[Zugriff: 17.02. 2014].

Krabel, Jens/Cremers, Michael, Katharina Debus (Hg.) (2008b): Gender Loops. Curriculum für Dozent/innen und Lehrer/innen: Ideen, methodisch-didaktisches Material und Instrumente für die Aus- und Fortbildung von Erzieher/innen. Berlin: Dissens e.V.
http://www.koordination-maennerinkitas.de/uploads/media/Gender_Loops__Curriculum_03.pdf
[Zugriff: 17.02.2014].

Pfau-Effinger, Birgit 2000: Kultur, Wohlfahrtsstaat und Frauenerwerbstätigkeit im europäischen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich.

Schulte, Sandra (2012): „Entschuldigung, sind Sie der Hausmeister?“ Geschlechtersensible Pressearbeit zum Thema „Männer in Kitas“. In: Cremers/Höyng/Krabel/Rohrmann (Hg.): Männer in Kitas. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, S. 253 - 264

Schulte, Sandra (2013): „Pressearbeit für Männer in Kitas – Im Spagat zwischen Gendersensibilität und Nachrichtenwert“ in: „Geschlechtersensible Öffentlichkeitsarbeit für mehr Männer in Kitas – Strategien, Maßnahmen und kritische Reflexion“.

Wetterer, Angelika (Hg. 2008): Geschlechterwissen & soziale Praxis. Theoretische Zugänge empirische Erträge. Königstein/Taunus: Helmer.

Wetterer, Angelika 2009: Gleichstellungspolitik im Spannungsfeld unterschiedlicher Spielarten von Geschlechterwissen; in: GENDER Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, H. 2, 1. Jg. 2009, S. 45-60.
(Link: https://www.hs-heilbronn.de/219251/Wetterer2009_Gleichstellungspolitik.pdf)
[Letzter Zugriff: 18.02.2013]

Wetterer, Angelika (Hg. 2010): KörperWissenGeschlecht. Geschlechterwissen und soziale Praxis II. Königstein/Taunus: Helmer.