Puppenstuben, Bauecken, Waldtage…(Un)doing Gender in Kinderkrippen

„Männer als Kleinkinderzieher nehmen sich als den Frauen im Beruf in vielerlei Hinsicht als ähnlicher wahr, als ihnen dies von außen zugeschrieben wird“, so Prof. Dr. Julia Nentwich von der Universtität St. Gallen, Schweiz.

Foto: Privat.

Vorbemerkung zum Schweizer System der Kinderbetreuung

Für die Schweiz muss für den Bereich der frühen Kindheit zwischen dem Berufsbild „Kleinkinderziehung“ und „Kindergartenlehrperson“ unterschieden werden. Anders als in Deutschland werden mit „Krippen“ Einrichtungen zur Betreuung 0-6jähriger Kinder bezeichnet. Der „Kindergarten“ gehört zum Schulsystem, richtet sich an 4-6jährige Kinder und findet zumeist nur vormittags statt. Kinder können also vormittags in den Kindergarten gehen und nachmittags in einer Krippe betreut werden.

Die Ausbildung zur „Fachperson Betreuung mit Schwerpunkt Kleinkind (FaBeK)“ ist eine Ausbildung im dualen System, also im Krippenbetrieb und in der Schule. Bei der Ausbildung in Kindergartenpädagogik handelt es sich dagegen um ein Studienangebot an den pädagogischen Hochschulen. Die Kindergartenlehrpersonen sind Teil des Kollegiums einer Primarschule. Auch ist in vielen Kantonen der Kindergarten obligatorisch, meist das letzte Jahr vor der Schule, während der Besuch der Kinderkrippe von den Eltern entschieden und auch finanziert wird. Krippenplätze können öffentlich oder auch vom Arbeitgeber subventioniert, oder aber ausschließlich aus Elternbeiträgen finanziert sein.

Die Ausbildung für den Krippenbereich wurde im Jahr 2006 im Zuge der allgemeinen Professionalisierung des Berufs neu geregelt. In diesem Jahr wurde eine Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis eingeführt, die auch den Anschluss an die tertiäre Schule gewährleistet. Die neue Berufslehre beginnt direkt im Anschluss an die 9-jährige obligatorische Schulausbildung, dauert drei Jahre und kann in vier Bereichen absolviert werden, nämlich in Kinderbetreuung, Betagtenbetreuung, Behindertenbetreuung sowie durch Kombination dieser drei Fächer als generalistische Ausbildung.

Frau Nentwich, wie sieht die Situation männlicher Erzieher in der Schweiz aus?

Ein erstes Projekt zur Steigerung des Männeranteils in der Betreuung von Kleinkindern war die vom Schweizerischen Krippenverband lancierte Initiative „Kinderbetreuer, ein prima Männerberuf“. Auf einer Webpage (www.kinderbetreuer.ch) und mit einer Broschüre wird das Berufsbild vorgestellt und mit persönlichen Statements und Portraits von Männern im Beruf anschaulich vermittelt. Mit dem Projekt „Männer in die Unterstufe“ (www.unterstufenlehrer.ch) des Netzwerks schulische Bubenarbeit NWSB werden seit 2004 ähnliche Ziele für Kindergarten und Primarschule verfolgt: Mehr Männer für die Wahl des Berufs „Kindergärtner“ und „Primarschullehrer“ zu motivieren, das Image des Berufs zu verbessern und die Diskussion in der Öffentlichkeit anzuregen. Im Zuge der gesellschaftlich stärker werdenden Debatte zur Situation der Buben in Kindergarten und Schule sowie des geringen Männeranteils bei Lehrpersonen in Kindergarten und Primarschule haben zudem verschiedene Tagungen an den pädagogischen Hochschulen für die Thematik sensibilisiert.

Unsere Forschung zum Krippenbereich zeigt, dass viele Männer im Beruf die Möglichkeit, Kleinkindbetreuer zu lernen, bei ihrer Berufswahl nicht in Betracht gezogen haben. Auch wurde der Beruf nicht durch die Berufsvorbereitung in Schule oder Berufsberatung an sie herangetragen. Vielmehr fiel die Entscheidung für den Beruf häufig nach einer „Schnupperlehre“, einem Praktikum oder einer abgeschlossenen (häufig auch abgebrochenen) Berufsausbildung in einem anderen, zumeist traditionellen Männerberuf. Meist haben die Männer auf diesem Weg festgestellt, dass ihnen z.B. ein handwerklicher Beruf weniger liegt und sie haben erst dann über die für Männer typische Auswahl hinaus Berufe in Betracht gezogen.

Männer in der Kleinkindbetreuung sind nach wie vor in einer Nischenposition. Es werden, so die Resultate unserer Interviews mit Krippenleiterinnen und Krippenleitern, aber auch Kleinkindbetreuern und Kleinkindbetreuerinnen, hohe Erwartungen an Männer im Beruf gestellt. Sie sollen Neues, Anderes in den Krippenalltag einbringen. Insbesondere sollen sie eine männliche Identifikations- und Bezugsperson für Buben sein und damit die quasi leergebliebene Stelle des Vaters im Krippenbereich einnehmen. Wie die Männer mit dieser ihnen zugewiesenen Position und Rolle umgehen, untersuchen wir in unserem Projekt.

Ihr Forschungsprojekt trägt den Titel „Puppenstuben, Bauecken, Waldtage: Un/doing gender in der Kinderkrippe“. Können Sie auf der Grundlage Ihrer bisherigen Ergebnisse schon sagen, wohin die Waage ausschlägt?

Ergebnis unserer fotografischen Raumanalyse von Kinderkrippen ist, dass die im Titel unseres Forschungsprojekts erwähnten Bauecken und Puppenstuben in nahezu jeder Kinderkrippe vorhanden sind. Während der Baubereich mit Bauklötzen, Legos und einem obligaten Autostraßenteppich interpretiert wird, wird der „Rollenspielbereich“ zumeist als Küchen- und Puppenecke gestaltet. Seltener finden sich Verkleidungsrequisiten, nie haben wir Themen wie Büro, Arbeitsplatz etc. vorgefunden. Unstrukturierte Materialen, die den Baubereich thematisch leicht an Basteltätigkeiten anschließen könnten, finden wir auch selten. Durch die räumlich wie auch in der Umsetzung der Bereiche vorgefundene klare Trennung von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ wird über das Raumkonzept die Vorstellung von zwei sich in ihren gesellschaftlichen Rollen unterscheidenden Geschlechtern kommuniziert. 

Im Kreativbereich dominieren die als „weiblich“ wahrgenommenen feinmotorischen Angebote, feste Materialien und „richtiges Werkzeug“ sind eher selten zu finden. In rund der Hälfte der Krippen ist ein fester Mal- und Bastelbereich eingerichtet; Werkangebote finden sich seltener. Wir ziehen daraus den Schluss, dass die Arbeit in Kinderkrippen nicht nur durch die zahlenmäßige Verteilung von Männern und Frauen, sondern auch über die Raumsituation klar weiblich dominiert ist. Eine stärkere Durchmischung dieser als klar dem einen oder dem anderen Geschlecht zugewiesenen Bereiche wäre hier ein wünschenswertes Ziel. Umgesetzt wird dies in manchen Krippen z.B. durch ein Ludothekprinzip, durch das Spielangebote nur zeitlich begrenzt in den einzelnen Gruppen angeboten werden, um dann wieder zurück gebracht zu werden. Auch der vermehrte Einsatz von „wertlosen“ Materialien, wie z.B. Kartons, Plastikbechern, oder auch Materialien aus der Natur, kann eine stärkere Durchlässigkeit in den Interpretationen erzeugen.

Männer in der Kinderkrippe sind vor diesem Hintergrund nicht nur rein zahlenmäßig in der Minderheit, sondern auch hinsichtlich der Aktivitäten und Angebote, die als „männlich“ wahrgenommen werden können. Unsere Interviews mit Männern und Frauen im Beruf zeigen jedoch, dass die in der öffentlichen Diskussion formulierte Erwartung an Männer, diese „Leerstellen“ in der Arbeit mit Kleinkindern zu füllen und, nur um ein Beispiel zu nennen, die Werkbank in der Krippe einzuführen, häufig nicht der Realität entspricht. Männer als Kleinkinderzieher nehmen sich als den Frauen im Beruf in vielerlei Hinsicht als ähnlicher war, als ihnen dies von außen zugeschrieben wird.

Wie werden die Bemühungen in Deutschland, mehr Männer für die Kitas zu gewinnen, in der Schweiz wahrgenommen?

Wir konnten in unserem Forschungsprojekt von Anfang an erleben, dass die Praxis ein sehr großes Interesse an diesem Thema hat. Viele Erzieherinnen und Erzieher erachteten es als sehr wichtig, dass ihr Beruf und ihre Aufgabe auch in der Wissenschaft wahrgenommen werden. Das Thema Gender hat viel Interesse in der Praxis ausgelöst und wir konnten als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der hohe Bereitschaft profitieren, beim Forschungsprojekt mitzumachen. Durch die ethnographische Forschungsstrategie sind wir in engem Austausch mit den Krippen, was für gute Forschung wichtig ist.
Unser Projekt ist in einem Nationalen Forschungsprogramm des schweizerischen Nationalfonds (www.nfp60.ch) zu Gleichstellung eingebettet. Solche Forschungsprogramme werden von den politischen Verantwortlichen initiiert, um für die Gesellschaft dringende Fragen zu bearbeiten. Es besteht darum in diesem Forschungsprojekt ein erhöhter Anspruch, dass die Erkenntnisse für die Praxis zugänglich gemacht werden.

Eine stärkere Durchmischung in der Berufswahl von Männern und Frauen ist dabei ein wesentliches Ziel, weswegen auch die Situation von Männern im Beruf des Kleinkinderziehers im Fokus des Interesses liegt. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die Aktivitäten in Deutschland und Österreich, aber auch international in Fachkreisen wahrgenommen und diskutiert.

Vielen Dank für das Interview!