Väterarbeit strukturell verankern

Ein Erfahrungsbericht aus dem Trägerverbund Lübecker Kindertageseinrichtungen

Der Trägerverbund Lübecker Kindertageseinrichtungen hält im Rahmen des ESF-Modellprogramms ein umfangreiches Angebot für Väter vor. Dieses umfasst Väterabende, Vater-Kind-Aktivitäten und Inputs zu Väter- und Männerthemen für die Teams in den Kitas.

Herr Bünemann, Sie sind Ansprechpartner für die Väterabende. Der Lübecker Trägerverbund führte im letzten Jahr 35 Väterabende mit Vorgesprächen in den Kitas durch. Wie sind Sie das Thema konkret angegangen?

Wir haben zunächst das Konzept der Väterabende in den Dienstbesprechungen unserer Kitas vorgestellt. Die Teams sind fast ausschließlich reine Frauenteams. Es war einfach, das Interesse der Mitarbeiter/innen zu wecken. Wichtig war es, Fragen der Mitarbeiter/innen zu beantworten, damit diese wissen, zu was sie einladen. Die Einrichtungen haben dann auch die Werbung für die Väterabende übernommen. Es hat sich bewährt, bei Veranstaltungen der Kita zu werben und Einladungen zu verteilen. Zusätzlich wird ab diesem Frühjahr in den Lübecker Kinos ein Werbespot zum Thema Väterarbeit auf unsere Aktionen aufmerksam machen.

Wie müssen wir uns so einen Väterabend konkret vorstellen?

Die Väterabende finden in den Räumlichkeiten der Kita statt und dauern zwei Stunden. Es nehmen ausschließlich Männer daran teil, und eine Gesprächsleitung moderiert den Abend. Die Veranstaltungen beginnen mit einer kurzen Vorstellungsrunde und der besonderen Verabredung, dass die Väterabende einen „geschützten Raum“ bieten und die Gespräche vertraulich sind. Dann bekommen die versammelten Väter folgende Arbeitsaufgabe: Jeweils zwei oder drei Väter tauschen sich über den eigenen Vater aus. Was sind positive und was sind negative Erinnerungen? Inwieweit will man dem Vater nachfolgen oder alles ganz anders machen? Männer, die keinen präsenten Vater hatten, sprechen an dieser Stelle über wichtige männliche Vorbilder der eigenen Kindheit. Danach gibt es eine kurze Reflektion. Auch Männer, die es nicht gewohnt sind, über eigene emotionale Themen zu reden, sind an dieser Stelle schon gut beteiligt. Deutlich wird, wie die Erfahrungen mit dem Vater auch die eigene Vaterschaft prägen.

Anschließend folgt ein kurzes Impulsreferat zum Thema: ‚Die Entwicklungsphasen des Kindes und die besondere Rolle der Männer darin’. Im Referat vermittle ich, dass der Vater gar keine besondere Rolle hat, auch nicht in den ersten Jahren des Kindes. Alles, was das Kind an physischer und emotionaler Zuwendung braucht, kann von Vater und Mutter gleichermaßen gegeben werden.

Für viele Väter ist es am Väterabend ein Aha-Erlebnis, dass andere Männer ähnliche Themen und Probleme in Erziehung und Partnerschaft haben, und sie empfinden den Austausch darüber als sehr hilfreich.

Die überaus große Nachfrage bestärkt uns darin, die Väterabende fortzuführen und auszubauen. Die Auseinandersetzung damit führte in unserem (gemischten) mMIK-Team zu intensiven Diskussionen darüber, ob auch Mütterabende notwendig sind. Wir wollen das ausprobieren, und demnächst findet der Erste statt. Mit den Mütterabenden verfolgen wir ein ähnliches Konzept unter der Fragestellung: „Erziehung ist Männersache wie Frauensache - wie ist das eigentlich bei mir zu Hause?“ Wir sind gespannt auf die ersten Erfahrungen.

Herr Hessel und Herr Marquardt, Sie sind Erzieher bzw. Dipl.-Sozialpädagoge und haben sich im vergangenen Jahr fortgebildet, um in Lübecker Kindertageseinrichtungen als externe Trainer Vater-Kind-Aktivitäten durchzuführen. Noch in diesem Jahr sollen acht Wochenenden mit Vater-Kind-Angeboten stattfinden. Wie müssen wir uns diese Aktivitäten vorstellen?

Wir haben im vergangenen Jahr an einer Fortbildung zum Vater-Kind-Trainer über die ev.-luth. Nordkirche (Verbund der Bundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg) teilgenommen. Diese befähigt uns, langfristig Vater-Kind-Projekte als Trainer beziehungsweise Übungsleiter für den kirchlichen Träger und als Moderator des ESF-Modellprogramms „MEHR Männer in Kitas“ durchzuführen. In diesem Jahr planen wir nun u.a. die Durchführung von Vater-Kind-Aktionstagen. Wir sprechen Väter bzw. männliche Begleiter mit Kindern aus den Lübecker Kitas an und bieten eintägige Aktionstage an Wochenenden an. Die Veranstaltungen starten morgens auf einem waldnahen Kita-Gelände. Hier treffen wir uns mit den Vätern und Kindern, lernen uns zunächst kennen und gehen dann auf eine „Abenteuertour“ in den nahegelegenen Wald. Eingebettet in die Geschichte eines „Waldläufers“ gilt es spannende Geschichten im Wald zu erleben: Wir werden blind geführt, wollen eine kleine Schlucht überqueren und eine Schatzkarte aus einem See bergen. Anschließend werden wir uns an einem Lagerfeuer bei einer leckeren Mahlzeit stärken und weitere knifflige Aufgaben lösen, bevor wir einen Schatz heben können. Das Spannende an den Aufgaben ist, dass die Väter auf ihre Kinder angewiesen sind, denn nur diese können bestimmte Aufgaben lösen. Manchmal müssen die Väter auch kräftig mit Hand anlegen – zur Überquerung einer Schlucht beispielsweise, die an einem nur leicht fixierten Kletterseil erfolgt, welches von den Männern stramm gehalten werden soll. Sonst gehen ihre Kinder „baden“.
Zwischendurch werden wir mit den Vätern ins Gespräch kommen, während die Kinder sich einer anderen Aufgabe widmen. Der Austausch mit den Vätern und die gemeinsame Interaktion zwischen Vater und Kind stehen im Mittelpunkt dieses Tages.

Neben den Aktionstagen planen wir Vater-Kind-Wochenenden. Zielgruppe sind auch hier Männer mit Kindern im Alter von 3 bis 10 Jahren, die an einer dreitägigen Fahrt teilnehmen möchten. An zwei Elternabenden bereiten wir die Väter und andere männliche Begleitpersonen auf das Wochenende vor. Wir übernehmen hier die Rolle des Moderators und unterstützen die Väter bei der Themenfindung, geben den roten Faden für das Wochenende vor und buchen das Freizeithaus.

Als Themen bieten sich "Waldentdeckertage"  und abenteuerliche Welt- und Zeitreisen an. Da Mädchen und Jungen mit ihren Vätern an dem Wochenende teilnehmen, gilt es die Interessen der beiden Geschlechter wahrzunehmen, sie auch zu untypischen Rollen einzuladen. Natürlich geht es um Hilfsbereitschaft, gemeinsames Erleben, erproben von Grenzen und darum die Beziehung der Väter und Kinder zu unterstützen.
Die Väter verteilen Aufgaben wie die Vorbereitung des inhaltlichen Programms untereinander. Dazu gehören Tätigkeiten wie Vorlesen einer Rahmengeschichte, Materialbeschaffung für Dekoraktion und Verkleidung, Ideensammlung für die selbst zuzubereitenden Mahlzeiten, Einüben einer Mini-Showeinlage und ähnliches mehr. Wir Trainer besorgen Lebensmittel, stellen einen Teil der Ausrüstung und begleiten das Wochenende als Moderatoren und Organisatoren. Während die Kinder in den späteren Abendstunden von männlichen und weiblichen Jugendgruppenleiter/innen betreut und zum Einschlafen begleitet werden, gibt es noch den „Austausch unter Männern“. Wir reflektieren den Tag, blicken auf den nächsten Tag und kommen ins Gespräch über unsere Rollen als Väter oder männliche Bezugsperson zu den Kindern. Hier gibt es unserer Erfahrung nach vielfältigen Gesprächsstoff. Das Wochenende wird auch noch bei einem Väterabend nachbereitet.

Das klingt nach einem umfassenden Programm. Wie wurden Sie auf dieses Projekt vorbereitet?

Wir haben uns im Rahmen einer mehr als 90-stündigen Fortbildungsreihe in über eineinhalb Jahren dem Thema „Vater-Kind-Trainer“ gewidmet. Neben einem intensiven Austausch über unsere eigene Biografie (als Sohn, Vater und im pädagogischen Kontext) haben wir uns viel mit dem Thema der Vater-Kind-Interaktion beschäftigt. Wir haben die Rolle eines Moderatoren eingenommen, Gesprächskreise angeleitet und uns immer wieder dabei reflektieren können. Außerdem haben wir uns mit rechtlichen Fragen befasst, Spiele und Lieder kennengelernt und uns über eine schriftliche Hausarbeit des Themas angenommen. Es waren umfassende und spannende Begegnungen, bei denen wir vieles über uns, unser Auftreten und das Gegenüber erfahren konnten.

Bringen Sie eigene Erfahrungen aus der Arbeit mit Kindern und Erwachsenen mit?

Ja. Wir sind ja bereits langjährig in unterschiedlichen beruflichen Kontexten tätig. So haben wir vielfältige Erfahrungen im Elementarbereich, in der Jugendarbeit und zum Teil auch in der Erwachsenenarbeit sammeln können. Einer von uns hat beispielsweise als langjähriger Outdoortrainer  Kita-Projekte, Schulklassen und Firmenevents begleitet. Im Rahmen des ESF-Modellprogramms „MEHR Männer in Kitas“ haben wir Väterabende in Lübecker Kindertagesstätten gestaltet, Berufsschüler/innen angeleitet und Projekte wie „Soziale Jungs in Kitas“ betreut. Von daher glauben wir, dass wir für die geplanten Aktionen gut gerüstet sind und die Männer mit den Kindern entspannt in der Vater-Kind-Interaktion begleiten können. Wir selbst sind Väter und freuen uns somit umso mehr auf die Umsetzung der Wochenenden und der Aktionstage.

Werden sich genügend Teilnehmer für die Veranstaltungen finden?

Da sind wir uns inzwischen sehr sicher. Allein im Trägerverbund der Lübecker Kindertagesstätten, die an dem ESF-Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ teilnehmen, sind über 130 Lübecker Kitas aller Träger organisiert. In diesem Jahr werden wir einige Veranstaltungen modellhaft ausprobieren, dokumentieren und unsere Erfahrungen auswerten. Die Veranstaltungen können auch nach Beendigung des ESF-Modellprogramms  durchgeführt werden. So überlegen wir inzwischen, wie die bereits gelungene Kooperation der Kita-Träger in Lübeck fortgesetzt werden kann. Die Nordkirche bietet mit dem „Männerforum“ eine zusätzliche Kooperationsform an. Geplant ist eine „Väteragentur“ über die Nordelbische Kirche in Kiel, die ein guter Kooperationspartner für den Trägerverbund Lübecker Kindertagesstätten werden kann. Hier werden vielfältige Projektpartnerschaften und Fortbildungen für die o.g. drei Bundesländer angeboten. Als Trainer für Vater-Kind-Projekte werden unsere Veranstaltungen somit auch langfristig über die Nordkirche unterstützt und versichert. An den Veranstaltungen können Väter, Männer und Kinder mit und ohne Konfession teilnehmen. Wir haben bereits in den vergangenen Jahren Vater-Kind-Veranstaltungen organisiert. Zu unserem ersten Aktionstag meldeten sich über 30 Väter mit Kindern aus drei Lübecker Kitas an. Hier werden wir nun anknüpfen.

Wir freuen uns sehr darauf, dass unsere Aktivitäten auch über das ESF-Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ hinaus stattfinden können und dass wir bereits jetzt sehr viel Zuspruch aus den Kitas in Lübeck erfahren.

Frau Meißner, Sie planen ein Männer- und Väterbüro in Lübeck einzurichten, um die Väterarbeit Ihres Modellprojekts auch über 2013 hinaus fortzuführen. Welche Zielgruppen wollen Sie damit erreichen und welche Ziele verfolgen Sie?

Die Zielgruppe des von uns geplanten Männer- und Väterbüros in Lübeck sind in erster Linie Väter und Männer, die an der Kindererziehung beteiligt sind. Zur erweiterten Zielgruppe gehören pädagogische Fachkräfte, Eltern und weitere an der Erziehung von Kindern beteiligte und interessierte Personen, wie beispielsweise Großeltern.

Unser Ziel ist es, mit einem Männer- und Väterbüro unsere Zielgruppen professionell zu unterstützen und sie darin zu fördern, dass sie gleichberechtigt an der Erziehungsarbeit teilhaben können. Uns liegt daran, eine Jungenarbeit im Sinne einer gendergerechten Pädagogik zu stärken und mit Bewusstseinsbildung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Väter bzw. Männer beizutragen.

Welche konkreten Aktivitäten sollen von dem Männer- und Väterbüro ausgehen?

Wir wollen die im ESF-Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ gemachten Erfahrungen mit den Angeboten für Väter verstetigen. Dazu gehören die Väterabende in Kitas, aber auch an Schulen, eine Väterzeitberatung, offene Vater-Kind-Aktivitäten, (Trennungs-)Väterberatung, Workshops und Vorträge beispielsweise in Familienbildungsstätten.

Die Arbeit des Büros soll sich auch an die Fachkräfte richten und dazu beitragen, dass der Arbeitskreis Lübecker Erzieher fortgeführt werden kann, es weiterhin offene Beratungsangebote für pädagogisch tätige Menschen gibt und eine Stelle, über die Erzieher/innen und Lehrer/innen Vorträge und Fachtage „buchen“ können.

Darüber hinaus planen wir, Personalverantwortliche und Geschäftsführungen von Lübecker Firmen und Unternehmen zu beraten sowie Workshops und Vorträge zu Themen wie Arbeitszeitmodelle, Bindung von Fachkräften oder Wiedereinstieg nach der Elternzeit anzubieten. Wir rechnen damit, dass es für den Aufbau eines solchen Büros im ersten Jahr einer drei viertel Stelle bedarf und ab dem zweiten Jahr zusätzlich einer halben Stelle. Die Fixkosten können wir niedrig halten, da auf existierende Büroräume zurückgegriffen wird und der größte Teil der Angebote außerhalb stattfinden soll, also vor Ort in den Schulen, Kindergärten und Familienzentren.

Wir danken Ihnen für diesen umfassenden Einblick und wünschen Ihnen für die Umsetzung Ihrer Projekte und Ideen weiterhin viel Erfolg!

Ein Erfahrungsbericht aus dem Trägerverbund Lübecker Kindertageseinrichtungen.

Hinweis des Herausgebers: Die Inhalte der Interviews spiegeln nicht immer die genauen Standpunkte der Koordinationsstelle wider.

www.mmik-luebeck.de | Website des Lübecker ESF-Modellprojekts "MEHR Männer in Kitas"