Praxis in Norwegen

„Engagement auf lokaler Ebene ist eine Voraussetzung, dass etwas in Bewegung kommt. Um ein solches Engagement voranzubringen ist es wichtig, dass die politische Unterstützung fortgesetzt wird", so Leif Askland aus Norwegen.

Foto: privat.

Herr Askland, in Norwegen wurden mehrere Aktionspläne zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in der Elementarpädagogik umgesetzt. Eines der Ziele war die Steigerung des Männeranteils in Kinderbetreuungseinrichtungen auf 20%. Wie hoch ist der Männeranteil derzeit? Warum setzt sich die norwegische Regierung für eine Erhöhung des Männeranteils ein?Seit 1995 haben Politik und Verwaltung mehrere Aktionspläne vorgelegt, mit denen mehr Männer für Kindergärten gewonnen und dort gehalten werden sollten. In norwegischen Kindergärten arbeiten Fachkräfte mit Hochschulausbildung mit Assistenten ohne pädagogische Ausbildung zusammen; das Verhältnis beträgt ca. 1:2. Da zwei Drittel der Beschäftigten in norwegischen Kindergärten Assistenten sind, sollten mit den Maßnahmen sowohl Assistenten für die Kindergärten als auch Studenten für Elementarpädagogik gewonnen werden.

Die Anzahl der Männer ist seit dem ersten Aktionsplan deutlich gestiegen; der relative Männeranteil hat sich dagegen kaum verändert. Dies liegt daran, dass in diesem Zeitraum in Norwegen eine enorme Ausweitung der institutionellen Kinderbetreuung stattgefunden hat. Im Jahre 1995 gab es in Kindergärten ungefähr 800 männliche Beschäftigte. Im Jahre 2010 waren ungefähr 6.200 Männer in der Erziehung und Betreuung von Kindern beschäftigt. Die Zahl der Männer wächst von Jahr zu Jahr.

Die Begründungen für die Bemühungen um eine Anwerbung von Männern haben sich im Laufe der Jahre verändert. Zu Beginn stand die Besorgnis über Probleme von Jungen und Männern in Schule, Beruf und Familie im Vordergrund. Jungen und Männer waren (und sind) in Gruppen überrepräsentiert, die besondere Unterstützung benötigen, um „Karrieren“ in Spezialeinrichtungen oder in der Justiz vorzubeugen. Dies wurde zum Teil als Folge mangelnder männlicher Rollenmodelle verstanden.

Seitdem haben sich die Begründungszusammenhänge weiterentwickelt. Im Vordergrund stehen heute eine Betonung von Geschlechtergerechtigkeit sowie der Sichtweise, dass die Lebenswelten von Kindern die Gesellschaft wiederspiegeln und Kinder daher unterschiedlichste Männer und Frauen im Alltag begegnen sollten. Es ist das Recht der Kinder, gute Beziehungen sowohl zu Frauen als auch Männer entwickeln zu können.

Im Rückblick würde ich sagen, dass der Defizitdiskurs der neunziger Jahre mögliche Interessenten am Beruf eher abgeschreckt hat, anstatt sie für die Arbeit mit Kindern anzusprechen.

Sie waren an der Evaluation des Norwegischen Aktionsplans 2008-2010 beteiligt. Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein? Was kann Deutschland von Norwegen lernen?

Ich habe als beratender Experte die Evaluation des Aktionsplans begleitet.
Die Ergebnisse dieser Evaluation sind widersprüchlich. Einerseits ist deutlich geworden, dass wir ausgezeichnete Kindergärten mit einem hohen Anteil männlicher Beschäftigter haben. In diesen Einrichtungen hat es hervorragende Arbeit zur Genderthematik gegeben. Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse der Evaluation nach wie vor frustrierend: Die große Mehrheit der Einrichtungen berichtete, dass wenig oder nichts zur Genderthematik im Kindergarten oder zur Anwerbung von Männern geschieht.

Es scheint, dass sowohl Geschlechtergerechtigkeit als auch die Anwerbung von Männern persönlichen Einsatz erfordern. Engagement auf lokaler Ebene ist grundlegend dafür, dass etwas in Bewegung kommt. Um ein solches Engagement voranzubringen ist es wichtig, dass die politische Unterstützung fortgesetzt wird, damit sichergestellt ist, dass Ressourcen für dieses Engagement vorhanden sind.

Nicht zuletzt benötigen die lokalen Initiativen Weiterbildung und Beratung.
Der norwegische Rahmenplan für Kindergärten verpflichtet alle Kindergärten, Geschlechtergerechtigkeit in der Planung und in der alltäglichen Praxis zu implementieren. Welche Schritte sind erforderlich, um dies ernsthaft anzugehen? Es hat keinen Sinn, hier Zwang einzusetzen. Stattdessen ist es nötig, dass Behörden und Verantwortliche diese Arbeit sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene geduldig und ausdauernd fortsetzen.

Die Veränderung von Einstellungen und Alltagspraxis benötigt Jahre. Ich glaube aber, dass wir allmählich erste Effekte feststellen können. In einigen Kommunen haben Netzwerke männlicher Erzieher eine wichtige Rolle dabei gespielt, der lokalen Gemeinschaft bewusst zu machen, dass Männer in Kindergärten gute Arbeit leisten. Der wachsende Anteil von Vätern, die Elternzeit in Anspruch nehmen, hat ebenfalls einen positiven Effekt auf die Einstellungen vieler Menschen. Dies trägt zu einem wachsenden Bewusstsein der Bedeutung der Beziehungen zwischen Männern und Kindern bei.

Wie werden die deutschen Aktivitäten zur Erhöhung des Männeranteils in der Elementarpädagogik in Norwegen wahrgenommen? Könnte es auch Modellwirkung für Norwegen haben?

Ich habe den Eindruck, dass die Aktivitäten in Deutschland nur Experten bekannt sind. Ich persönlich arbeite seit längerem gut mit den Kollegen der Koordinationsstelle zusammen, und was ich von dort mitbekomme finde ich durchaus beeindruckend. Das deutsche Projekt scheint gute Strukturen und klare Zielsetzungen zu haben, und die finanziellen Ressourcen des Projekts werden gut in lokale und übergreifende Veranstaltungen investiert.

Wesentlich scheint mir, dass sich das Projekt über gute Organisation hinaus einer Vision verpflichtet fühlt.

Ich bin nicht sicher, inwieweit ein Land als Modell für andere Länder wirken kann, da sich die Rahmenbedingungen, in denen wir leben, unterscheiden. Dennoch ist es für mich wertvoll, miteinander im Kontakt zu sein, Ideen auszutauschen und weiter zu verfolgen, wie sich unsere Aktivitäten jeweils entwickeln.

Vielen Dank für das Interview!